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1948 - Roman

1948 - Roman

Titel: 1948 - Roman
Autoren: Aufbau
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meines künftigen Sohnes in dem Babybett mit Blick aufs Meer.

23
    Ich hatte einen Freund, dem es die Schulter weggerissen hatte. Wir gingen auf der Straße, und wenn wir Leute sahen, blieb er stehen, schaute auf seine fehlende Schulter, und die Passanten starrten ihn verblüfft an. Er war groß und schön und schlenkerte seinen Arm gern hoch und nach hinten, da er ja keine Schulter hatte, und alle kreischten, und dann grinste er mich an, und wir gingen weiter.
    Im Café Nussbaum redete man jetzt von Arbeit auf See. Ich wollte zurück in den Krieg im Negev. Miri, die für die Verwundeten der Palmach zuständig war, sagte mir, ich solle nicht wieder einrücken, denn ich würde es nicht durchhalten. Sie schlug mir vor, auf einem Schiff anzuheuern und Flüchtlinge zu holen. Sie verwies mich an einen Herrn Zimmermann von der damaligen Schifffahrtsgesellschaft Shoham. Dieser Zimmermann stammte aus Kfar Tavor, dem früheren Mes’cha, und um eine Art örtlichen Dialekt zu kreieren, sagte er »Tel Abib« und »Rehobot«, weil er den hebräischen Buchstaben Bet grundsätzlich als B aussprach, auch dort, wo er sich eigentlich zum V verschieben sollte. Er legte ein gutes Wort für mich ein, und ich ging an Bord der »Van York«. Auf jeder Fahrt brachten wir dreitausend Leute mit.
    Als ich die Passagiere zum ersten Mal die Strickleitern hochklettern sah, hasste ich sie. Ich schrieb Schlonski einen Aufsatz mit der Überschrift »Ich hasse das jüdischeVolk«. Später verliebte ich mich in diese Menschen. Ich begriff, dass sie, und nicht wir, die großen Helden waren, begriff, dass es, um das zu überleben, was sie überlebt hatten, mehr brauchte als ein paar Gewehre und Stens. Ich unterhielt mich mit ihnen. Damals redeten sie noch, aber das ist schon eine andere Geschichte.
    Ich trieb mich in Marseille und in Neapel herum, nach dem Krieg war das ein großes Erlebnis, das viel mehr verdient als ein weiteres Kapitel in diesem Buch. Später arbeitete ich bei der Luxussteuerabteilung. Ich versuchte, Mädchen anzumachen, aber sie flohen vor mir, weil ich dauernd über den Tod redete. Ich studierte in Jerusalem. Fand endlich eine Frau, die ich innig liebte, aber auch diese Liebe habe ich umgebracht, und die Jahre vergingen.
    Nach zehn Jahren in New York kehrte ich zurück oder »stieg auf ins Land Israel«, wie man es nimmt, und fuhr »gen Jerusalem«, wie meine Mutter zu sagen pflegte. Ich kletterte auf den Dachboden des Klosters Talitha kumi, wo Jesus einst zu Talitha sprach, » kumi « – steh auf –, worauf sie tatsächlich aufstand. Ich hatte hier einmal im Glockenzimmer im Dachstuhl gewohnt, und an der Tür klebte noch immer der verblichene Zettel mit der Aufschrift: Yoram ist weg, nach Paris gefahren.
    Ich blickte hinunter und sah den Befehlshaber, der in Nebi Samuel getürmt war, hinter der Mauer auf der Straße vorübergehen. Ein Stück weiter schleckte ein junges Mädchen Eis, und ich weiß noch, dass ich bebte. Ich wollte, dass irgendwer etwas über diesen Befehlshaber sagte, und wieso aß man denn plötzlich Eis in Jerusalem. Wir waren alle in den Gefechten gewesen. Hatten gekämpft, geliebt, verziehen, uns geopfert, damit ein anderer lebte, aber heute gelten die einfachen Kampfsoldaten nicht als Palmach.
    Die Palmach ist ein Haus. Eigentlich zwei Häuser, die Millionen gekostet haben: das Palmach-Museum und das Yitzhak Rabin Center, wo Rabins Erbe gepflegt werden soll – obwohl der Mensch, der erklären könnte, was dieses Erbe denn sein sollte, erst noch geboren werden muss und die ganze Ausstellung heute nur eine große Rückschau ist. Die damaligen Befehlshaber und die sonstigen Leute im Umkreis des Stabs halfen sich gegenseitig und schufen eine virtuelle Palmach, Abenteuergeschichten im Stil von Yigal Mossinsons Hasamba -Reihe, nur diesmal für Erwachsene. Chaim Guris wunderbares Gedicht »Lied der Kameradschaft« spricht von diesen Leuten. Sie pflegten tatsächlich Kameradschaft. Kameradschaft von wegen: Was hab ich die ganzen Nachkriegsjahre nicht alles für mich und für die Kumpels getan. Es gab damals viele, viele Hektar Land zu vergeben. Städte. Dörfer. Nutzflächen. Und wer an der Quelle saß, bekam oder erwarb für ein paar Groschen den »aufgegebenen Besitz«, den die geflohenen und die vertriebenen Araber zurückgelassen hatten. Der eine erhielt ein Grundstück, der andere zwei. Und sie konnten ihren Freunden gute Ratschläge erteilen und nützliche Informationen für ihre Geschäfte geben. So entstand
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