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193 - Kurs in den Untergang

193 - Kurs in den Untergang

Titel: 193 - Kurs in den Untergang
Autoren: Ronald M. Hahn
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schlaffe Wesen zum Leben. Die Nährlösung wurde in ein Aufbereitungssystem gepumpt, dann entriegelte Einauge den Behälter und befreite Skorm’aks neuen Körper von den Versorgungsschläuchen.
    Er sah aus wie ein gewöhnlicher Hydrit, dennoch wirkte er irgendwie fremd, und man fühlte sich unwohl in seiner Nähe.
    Vielleicht war die instinktive Ablehnung eine Reaktion auf seine Andersartigkeit, vielleicht strahlte auch die Aura dieser leeren, lebenden Hülle etwas aus, das ein aktiver Verstand nicht einordnen konnte und deshalb Alarm schlug.
    Skorm’aks neuer Körper verharrte reglos in seinem Behälter, der sich mit dem gereinigten, keimfreien Meerwasser des Labors gefüllt hatte. Quart’ol brauchte nicht extra aufgefordert zu werden, sich dem Klon zu nähern. Er kannte das Prozedere. Als Skorm’ak und Einauge zurückwichen, nahm der Hydrit seinen Platz neben ihm ein.
    Physischer Kontakt war notwendig, wenn man eine Geistesverschmelzung durchführen wollte. Es gab kein festgelegtes Ritual dafür, keine vorgeschriebenen Berührungspunkte. Schon deshalb nicht, weil Hydriten diese radikale Art des Gedankenaustausches nur in seltenen Ausnahmefällen praktizierten. Wichtig war lediglich, dass Haut an Haut stieß. Das beiderseitige Einverständnis wurde im Fall des Klons nicht benötigt.
    Es war faszinierend zu beobachten, wie er sich veränderte, während Quart’ol seine Erinnerungen in ihn einfließen ließ.
    Die ursprünglich blassblaue Schuppenhaut wurde grün, das leere Gesicht bekam Ausdruck. Mehrmals sah er aus wie ein Abbild Quart’ols. Doch das verging wieder.
    Als die Geistesverschmelzung abgeschlossen war, durch die der Klon eine ganze Lebenserinnerung gewonnen hatte, sein Spender hingegen ein großes Nichts, trat Skorm’ak hinzu. Im direkten Vergleich mit dem jungen Körper wurde das immense Alter des Ersten Meisters deutlich – vielleicht auch ihm selbst, denn Skorm’ak seufzte schwer, bevor er seine zögernd ausgestreckte, faltige Hand auf die Brust des Klons legte.
    Anders als Quart’ol transferierte Skorm’ak keine Kopie seiner Erinnerungen, sondern sich selbst. Alles, was den Seelenwanderer ausmachte, verließ im Takt seines schwächer werdenden Herzschlags die alte Hülle und siedelte sich in der neuen an. Sie verlor Quart’ols Farbe und ihre Ähnlichkeit mit ihm, bekam ein blaugrünes Schuppenkleid und nahm die Züge des Ersten Meisters an. Als Skorm’aks Blick in den Klon-Augen erschien, brach der leere frühere Körper zusammen.
    Quart’ol und Einauge wussten aus eigener Erfahrung, wie es war, sich selbst tot am Boden zu sehen. Es machte Angst, da nützte auch der hellste Verstand nichts. Schließlich kannte man seinen alten Körper in- und auswendig, war vertraut mit dessen Eigenarten und jeder krumm gewachsenen Schuppe. Der neue hingegen kam einem in diesen ersten Momenten wie eine übergestülpte Masse vor. Man betastete seine Hände, als gehörten sie einem Fremden. Es gehörten große Selbstdisziplin und ein starkes Ego zur Kunst des Seelenwanderns. Wer nicht loslassen konnte, weil er in seiner stofflichen Existenz mehr sah als reine biologische Notwendigkeit, entwickelte leicht einen Ekel vor dem Unbekannten und kam vom Gefühl des Eingesperrtseins nie wieder los.
    Die beiden Quan’rill halfen Skorm’ak so gut sie konnten. Es herrschte Auszeit in diesen kritischen Minuten: Quart’ol war jetzt kein Angeklagter, sondern ein Bruder im Geiste. Das wurde von den Dreien als selbstverständlich erachtet, was die edle Gesinnung der Quan’rill-Kaste bezeugte. Hier ging es nicht um Skorm’ak, den Richter. Hier ging es um den Erhalt seines einzigartigen Wissens, das Vielen zugute kam und deshalb schwerer wog als das Schicksal eines Einzelnen.
    Quart’ol und Einauge hielten den Ersten Meister umarmt und sprachen freundlich auf ihn ein, bis er sich in dem neuen Körper zurecht fand. Seine erste Amtshandlung nach dem abgeschlossenen Verjüngungsprozess bestand darin, Quart’ol mit fester Hand und frischer Stimme des Raumes zu verweisen.
    Einauge sollte ihn in einer Schleuse unterbringen.
    »Der Bund wird nun über dein Schicksal beraten. Wir holen dich, wenn das Urteil feststeht«, sagte Skorm’ak. Er klang so verändert, so voller Kraft, dass Quart’ol keinen Protest wagte.
    ***
    Im Licht der Sterne war die auf der Oberfläche des Molochs wuchernde Ortschaft deutlich zu erkennen.
    Zarah huschte in eine der Gassen zwischen den einstöckigen Häuschen. Sie hatte den Nachmittag in
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