Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
193 - Kurs in den Untergang

193 - Kurs in den Untergang

Titel: 193 - Kurs in den Untergang
Autoren: Ronald M. Hahn
Vom Netzwerk:
weit.
    »Du bist barfuß«, sagte sie. Und fügte hinzu: »Sir.«
    »Ich hab Socken an.« Ibrahim begutachtete seine Füße.
    »Gib’s zu – du hast mal wieder keinen Schimmer, was du hier draußen machst.«
    Commander Wilkinson gehörte zu den wenigen Offizieren, die wussten, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Sie war die oberste Bordärztin. Sie hatte ihn untersucht und ihm gestanden, dass sie ohne Diagnosegeräte nicht sagen konnte, woran er litt.
    Ibrahim hatte Verständnis für ihre Lage: Sie hatte nie eine Universität besucht. Die Ärzte der ersten Generation hatten sie und ihre Kollegen ausgebildet.
    »Abgesehen von dieser dämlichen Schlafwandelei«, sagte er leise, »funktioniere ich ganz gut.«
    »Du bist bleich wie der Tod.«
    »Ich bin nur ’n bisschen blass.«
    »Wenn jetzt Tag wäre, würde jeder, der dich sieht ›Sanitäter!‹ schreien.«
    »Du hast ’ne bemerkenswerte Art, das Selbstbewusstsein deiner Patienten zu stärken«, sagte Ibrahim säuerlich. Warum konnte sie ihn nicht belügen? Er wusste selbst, wie beschissen er aussah. Warum musste sie auf ihm rumhacken? Manchmal verhielt sie sich wie ein von keinerlei Psychologie beleckter Metzger.
    »Ich hab nur Angst um dich, Jack.« Wilkinson räusperte sich. »Ich hab Gerüchte gehört.«
    »Aus wessen Mund?«
    »Hawkeye.«
    Früher war Hawkeye Gillis Marineflieger gewesen – als auf der HOPE noch Flugzeuge gestartet und gelandet waren.
    Auch Ibrahim war früher geflogen. Gillis hatte zu McNamaras Parteigängern gehört. Nicht aus Freude am Knechten von Menschen. Eher aus militärischem Gehorsam. Er hatte sich gut entwickelt. Nun war er Dritter Offizier. »Was sagt er?«
    »Gewisse Leute nörgeln immer lauter und verbiesterter. Er meint, dass sie unter höllischem Druck stehen – und dass der Druck sich bald entladen wird. Die Stimmung ist explosiv. Er meint, die Kanaillen, die dem Goldenen Zeitalter unter Mr. McNamara nachweinen, könnten bald sehr leichtes Spiel mit den Unzufriedenen haben…«
    »McNamaras Zeiten waren für gewisse Kreise sicher unterhaltsamer als die Gegenwart«, meinte Ibrahim lakonisch.
    »Aber so ist der Lauf der Welt: Mal sind die einen oben, dann die anderen. Daraus folgt, dass manche, die früher oben waren, nun unten sind.« Mit unten meinte er nicht unbedingt unter Deck, wo die Luft schlechter war. Viele alte Erfüllungsgehilfen McNamaras hatten auch eine Degradierung hinnehmen müssen.
    »Hawkeye meint, dass irgendwann in den nächsten drei Tagen was explodiert.«
    Ibrahim schaute auf.
    »Die Flaute bringt uns kaum von der Stelle. Australien ist noch weit. Unser Schicksal ist alles andere als gewiss. Die Mangellage arbeitet diesen Säcken in die Hände.« Wilkinson seufzte traurig. »Die schöne Zukunft, die wir uns erträumt haben, ist in weite Ferne gerückt.«
    Ibrahim zuckte die Achseln. »Wir konnten damals nicht ahnen, was mit dem Reaktor passieren würde.«
    »Wir können froh sein, dass wir gerade vor Anker lagen und unsere Bordwerkstätten gut genug ausgerüstet waren, um diese Kunststoffsegel zu produzieren. Sonst säßen wir jetzt bis zum Hals im Dung.« Wilkinson schaute nach Steuerbord. Am Ende der alten Startbahn blähten sich riesige weiße Dreieckstücher im lauen Südseewind – wie auch Backbord. Die Masten lagen waagerecht und ragten weit über die Kante hinaus; insgesamt sechs Stück. Der Anblick war noch immer gewöhnungsbedürftig.
    »Tja…« Ibrahim seufzte ebenfalls. Die nach der Wende an Deck strömenden Massen hatten die Grenzen ihrer Möglichkeiten schnell aufgezeigt: Für alle war an der Sonne nämlich kein Platz. Man konnte nicht allen gleiche Annehmlichkeiten bieten. Ohne den Reaktor war fast jede Arbeit auf diesem Kasten eine elende Plackerei. Zwar hatte man in den vergangenen Jahren viel Mutterboden an Bord geholt und Treibhäuser gebaut, doch gewisse Dinge waren und blieben knapp.
    Vor der letzten Insel mit Trinkwasserquellen hatten sie vor drei Monaten gelegen. Schon damals hatten einige Leute gemurrt. Andere waren an Land gegangen und geblieben.
    Schön. Die USA waren tot. Die zweite Generation hatte keinen Eid auf sie geleistet. Wer gehen wollte, konnte gehen – vorausgesetzt, er bekleidete keine für den Rest lebenswichtige Position. Zum Glück hatte sich das Fachpersonal bisher als einsichtig gezeigt.
    »Wer sind die Rädelsführer?«
    »Die üblichen Verdächtigen. Sie werden Morelli aber keinerlei Handhabe bieten. Die rühren selbst keine Hand. Die schicken Arschkriecher,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher