Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

1864 - Vorabend der Apokalypse

Titel: 1864 - Vorabend der Apokalypse
Autoren: Unbekannt
Vom Netzwerk:
war die Triebfeder für alles, was die Kinder in ihrem Reservat taten, dem nördlichen „Anhängsel" der Riesenstadt Baaken Bauu. In diesem Reservat lebten auf relativ engem Raum rund eine Viertelmillion Heranwachsende zwischen zwanzig und fünfzig Jahren mit ihren Betreuern zusammen.
    Mit zwanzig Jahren wurden sie von ihren Eltern getrennt und kamen hierher, mit fünfzig Jahren verließen sie in der Regel die Stadt der Kinder wieder, indem sie in den Schacht im Zentrum gingen und mit dem Drachen spielten, der dort in orangefarbener Glut auf sie wartete.
    Die jungen Galornen waren kleine Bestien. Sie wurden mit dem Erbgut ihrer barbarischen Vorfahren geboren, und wie wilde Tiere mußten sie gezähmt werden. Aufgabe der Erzieher war, ihre natürliche Aggressivität in Bahnen zu lenken. Damit wurde diese ungezügelte Angriffslust durch Spiel und Lernübungen abgebaut, was verhinderte, daß sie sich gegen= seitig umbrachten.
    Days Vuuneron sah, wie Tamm im Umdrehen eine Hand freibekam und sich gegen den Boden stemmte.
    Beide Jungen schwitzten. Tamms klobige Finger ertasteten einen etwa halb handgroßen Stein. Sie schlossen sich um ihn.
    Die Erzieherin öffnete den Mund wie zu einem Schrei, schloß ihn dann jedoch wieder und wartete.
    Den Rest ihrer Gruppe hatte sie von einem jüngeren Erzieher bereits zu ihrer Unterkunft zurückbringen lassen. Die jungen Galornen hatten sich erschöpft.
    In dieser Nacht würden sie nicht mehr an Streit denken, sondern bald einschlafen und dann morgen, beim Frühstück, ihre tägliche Ration Kasch-Phee erhalten - jenes Hormon, das die Aggressivitäts-Komponente ihrer Seele nach und nach so weit abspaltete, daß sie am Ende bereit für den Drachen waren, der sie ihnen in einem für sie furchtbaren mentalen Kampf entriß. Anschließend fanden sich die jungen Galornen in der Riesenmetropole wieder, am Beginn ihres bis zu durchschnittlich achthundert Jahre währenden Erwachsenendaseins.
    Dero Berool hatte sich jetzt auf Tamm Ganga gewälzt. Er drückte ihm die Daumen tief in die Kehle.
    Tamm lag auf dem Rücken und bekam keine Luft mehr. In der rechten Hand hielt er den Stein, aber der Arm zitterte.
    Er wurde schlaff, Tamms Gesicht lief dunkel an. Seine Augen quollen aus den Höhlen.
    „Dero!" rief Days.
    Der Junge erschrak, drehte sich um und war für einen Moment unaufmerksam. Er vernachlässigte den Druck auf die Kehle des verhaßten Rivalen.
    Die beiden hatten sich gegenseitig zu übertreffen versucht, keiner hatte dem anderen etwas gegönnt. Als alle anderen längst schon entkräftet kapituliert hatten, waren Dero und Tamm immer wieder aufgestanden und in die Pyramide gesprungen, wo sie sich von einer Plattform zur nächsten hinaufarbeiten mußten - manchmal durch Sprünge, manchmal durch Hochziehen, manchmal durch Klettern an einem der Masten.
    Zu der rein körperlichen Anstrengung kam die Geschicktheit, die überall in der Pyramide verborgenen Gravofelder zu finden und sie als Plattform für den nächsten Sprung zu benutzen.
    Die Pyramide war in ihrer Spitze dreißig Meter hoch. Wer eine Plattform verfehlte oder von ihr abrutschte, wurde von Gravokissen aufgefangen und sanft auf den Boden gesetzt. Er mußte dann dort wieder anfangen, wo er schon ein-, zwei- oder mehreremal begonnen hatte. Die meisten hielten das nicht lange durch.
    Anders Dero und Tamm.
    Tamm Ganga begriff seine Chance und schlug Dero den Stein gegen die Schläfe. Dann, als der Gegner aufstöhnte und sein Gleichgewicht verlor, holte er noch einmal aus und schmetterte ihm den Stein an die Nasenwurzel, mitten zwischen die Augen.
    Days Vuunerons Nasenflügel flatterten noch heftiger. Sie trat von einem Fuß auf den anderen, lief aber nicht los, um das mörderische Ringen zu beenden.
    Die Jungen hatten sich nichts geschenkt, den ganzen Tag über nicht. Schon im vormittäglichen Unterricht hatten sie sich gegenseitig auszustechen versucht, als es „nur" um theoretisches Wissen ging.
    Am Nachmittag hatten sie sich zum erstenmal angerempelt und heftig beschimpft. Als der Rest der Gruppe nach Hause ging, hatten sie ihren Kampf zuerst noch eine geschlagene Stunde lang in der Pyramide fortgesetzt.
    Days Vuuneron hatte sie schließlich dort herausgeholt und den Weg zurück in die Unterkünfte der Gruppe angeordnet - allerdings nicht mittels des am Rand der Sportanlagen befindlichen Transmitters.
    Sie hatte ihnen gesagt, daß sie sich ausschnaufen müßten, also erst einmal wieder körperlich zu sich kommen. Der Weg durch den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher