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182 - Im Dorf der Telepathen

182 - Im Dorf der Telepathen

Titel: 182 - Im Dorf der Telepathen
Autoren: Ronald M. Hahn
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Einmal huschte in einem halbdunklen Gang eine leere Kutte an ihr vorbei und verschwand hinter einer Tür. Malie wusste nicht, was sie von diesem Firlefanz halten sollte. Hatte der Weiße Ritter wirklich Humor? Dann musste er die Menschen sehr gut kennen.
    Nach vielen Stunden – immerhin hatte sie in der Zwischenzeit wärmende Kleidung gefunden – erreichte sie über die Wendeltreppe die Turmspitze, doch sie empfand noch immer keine Müdigkeit. Als sie aus dem obersten Fenster über die Landschaft schaute, verblassten gerade die Sterne. Der schwarze Himmel färbte sich unendlich langsam grau. Je länger sie ihn anschaute, umso mehr verdichtete sich ihr Eindruck, dass er eine metallgrau gestrichene Kuppel war.
    Unsinn… Malie schüttelte den Kopf und trat den Rückweg an. Unten angekommen, war sie noch immer keinem Menschen begegnet.
    Sie trat ins Freie. Es schneite gerade mal nicht. Die Luft war windstill, doch kalt. Im Wald brachen knackend Äste. Dann ertönte ein Brüllen. Ein Mann mit einem dunklen Turban stürzte aus dem Wald auf die Lichtung.
    Eine Taratze war ihm auf den Fersen.
    Der Mann lief auf den Turm zu.
    Gleich darauf sprang ein zweiter Mann aus dem Wald.
    Er rutschte aus, fiel hin, rappelte sich auf und lief, ein Schwert in der Hand, hinter der Taratze her. Sie war dem Mann mit dem Turban dicht auf den Fersen.
    Der Flüchtende schlug einen Haken. Die Taratze glitt aus und rutschte auf Malie zu. Malie trat beiseite. Die Bestie kam zum Halten und richtete sich fauchend auf.
    Sie war mindestens zwei Meter groß.
    Inzwischen hatte der Mann, der die Taratze verfolgte, Malie erreicht. Sie erkannte ihn: Es war Theopheel – hoffentlich der echte.
    Er nickte ihr zu. Sie erwiderte sein Nicken.
    Beide stellten sich mit ihren Schwertern dem Biest entgegen. Der Mann mit dem Turban kam, eine Axt in der Hand, zurück. Er war dunkelhäutig, etwa fünfzig Jahre alt und trug einen krausen Bart.
    Malie schrie auf, als die Taratze sich blitzschnell zu ihm umwandte und ihm mit einem gewaltigen Prankenhieb den Kopf von den Schultern riss.
    Blut spritzte in den Schnee. Theopheel rammte fluchend die Spitze seines Schwertes in den Bauch der Taratze. Sie quiekte durchdringend. Ihre rudernden Vordertatzen trafen sein Schwert und schlugen es ihm aus den Händen. Theopheel wankte. Nur aus diesem Grund entging er dem nächsten Prankenhieb.
    Nun fuhr Malies Klinge hoch. Sie bohrte sich ins rechte Auge der Taratze. Die spuckte eine stinkende Substanz aus und drehte sich wie irrsinnig im Kreise, bis sie umfiel und in den Schnee klatschte.
    »Danke, Malie.« Theopheel beugte sich schaudernd über den Mann, den er nicht hatte retten können.
    »Du erinnerst dich an mich?«
    »O ja.« Theopheel nickte. »Du warst eine der Wenigen, die mich nicht verhöhnt haben.«
    »Ich glaube, Menschen werden nicht böse geboren, sondern böse gemacht – etwa, indem man sie missachtet oder verhöhnt.«
    »Du bist klug.« Theopheel hob eine Hand, als begrüße er jemanden.
    Malie drehte sich um. Ein Dutzend Gestalten standen im Turmeingang. Drei Männer und zwei Frauen kannte sie aus Dymonton. Sie standen so schweigend da, wie sie sie kannte – abgekämpft, als hätten sie seit Wochen weder geschlafen noch gegessen. Sie wirkten wie allmählich verblassende Abzüge ihrer weltlichen Ichs.
    Malie schauderte.
    »Ihr wart klüger als die Leute, mit denen Selim und ich losgezogen sind, um nachzuschauen, was hinter dem Horizont liegt.« Theopheel schaute müde und niedergeschlagen drein.
    »Was ist aus den anderen geworden?«, fragte eine junge Frau. Ihr Teint, ihre Mandelaugen und ihre Haarfarbe wiesen sie als Polynesierin aus.
    »Frag lieber nicht.« Theopheel schaute zu Boden.
    Ein nordisch aussehender Bärtiger – auch ihn kannte Malie aus dem Dorf – blieb hartnäckig. »Was liegt hinter dem Horizont?«
    Theopheel kratzte sich am Kopf. »Nichts.«
    »Nichts?« Der Bärtige machte große Augen.
    »Hinter dem Wald endet die Welt. Irgendwann kommt man an eine Wand. Sie ist fugenlos und wölbt sich nach oben.« Theopheel deutete zum Himmel hinauf.
    Malie fiel ein, was sie auf der Turmspitze empfunden hatte. »Die Sterne da oben sind vermutlich magische Lichter.« Theopheel deutete auf den Turm. »Die ganze Welt besteht nur aus einem verschneiten Wald und dieser Lichtung, in deren Mitte sich die Trümmer der versunkenen Stadt und der Turm befinden. Das ist alles.«
    Eine Schneekugel, dachte Malie.
    »Und Graf Zarrats Reich?«, fragte eine Männerstimme
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