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1814 - Unter dem Galornenstern

Titel: 1814 - Unter dem Galornenstern
Autoren: Unbekannt
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existieren, Foremon kannte weder Bedauern noch Ungeduld. Aber tief in ihm schlummerte ein verschüttetes Wesen, das mehr wollte ... das den inneren Basalt zerbrechen und nach außen dringen wollte, das nach Bedeutung und Aufmerksamkeit gierte.
    Foremon lachte dann manchmal. Er hielt sich nicht für vollkommen. Perfektion erreichte er nur dann, wenn es darum ging, seine Pflicht zu erfüllen.
    Aus einem unbekannten Grund wußte er über seine eigene Zukunft gut Bescheid. Er würde bis kurz vor das Ende seiner Tage die Ebene, den Fahrstuhl und den Dom bewachen. Und wenn alles fast vorbei war, konnte er ins Licht zurück; auch wenn es sich nur um wenige Tage Glück handelte.
    Am Anfang war die Ebene vollständig einsam. Nur der Dom, als Zugang zur Brücke in die Unendlichkeit - und er, als Wächter in einem Land, das eigentlich keinen Wächter nötig hatte.
    Nach hundert Jahren akzeptierte Foremon die Tatsache, daß er so etwas wie einen Gefährten benötigte.
    Da es in der Ebene kein Leben gab, half er sich auf eigene Faust. Der Wächter ging in die Hocke, und er klopfte mit seinen knöchernen Fingern so lange auf den Basalt, bis er die Resonanz spüren konnte. Wie ein Echo war das, eine Schwingungskurve in seinem Geist, die allmählich ausfaserte und zu einem umfassenden Bündel wuchs.
    . Foremon sammelte die Echos, faßte sie zusammen, schickte sie zurück ins Gestein. Aus einem Klopfen wurde ein Vorgang, der tief in die Geheimnisse der Materie reichte.
    Vor seinen Augen wölbte sich das Gestein. In der Ebene entstand ein winziger Buckel. Der Buckel war nur fünf Zentimeter hoch.
    Der Wächter sagte: „Ich bin Foremon."
    Aber der Buckel sagte gar nichts, weil er nicht am Leben war und die Fähigkeit zur Kommunikation nicht besaß. Der Buckel sprach kein Goo-Standard, er regte sich nicht einmal. Oder nur dann, wenn Foremon sein Klopfen so veränderte, daß eben eine Bewegung herauskam.
    Für ihn war es eine seltsame Erfahrung, wieder zu sprechen. Jedenfalls außerhalb der Routine, wenn er am Pilzdom die Passagiere in Empfang nahm und zum Fahrstuhl führte.
    Diesmal ergriff er eigene Initiative, obwohl es in der Ebene nichts zu geben schien, wozu ein eigener Wille nützlich war.
    „Kannst du mich hören?"
    Nein.
    (Das konnte der Buckel natürlich nicht. Was für eine dumme Frage.) „Ich werde dich Steinkind nennen. Weil du aus Stein bist und weil du so etwas wie ein Kind bist."
    Was das darstellte, ein „Kind", daran konnte sich Foremon nicht wirklich erinnern, auch wenn er es bestimmt einmal gewußt hatte. So war das oft mit den Worten aus seinem Unterbewußtsein; er kannte sie, aber er vermochte ihnen keinen konkreten Inhalt zuzuordnen.
    Ob ihm das Gedächtnis vor langer Zeit genommen worden war- oder ob er es mit Absicht aufgegeben hatte? - das ließ sich nicht so einfach sagen. Er nahm jedoch an, daß er mit vollständigem Gedächtnis in der Einsamkeit nicht lebensfähig gewesen wäre. Nur als Wächter ohne Vergangenheit konnte er eine Ewigkeit überstehen.
    Das Steinkind sollte ihm dabei helfen.
    Vor seinen Augen wurde der Buckel größer. Foremon gab ihm eine fließende Kontur. Er ließ das Ding aus dem Boden wachsen, bis es ungefähr 30 Zentimeter maß. Wenn er sich konzentrierte, dann zuckte es an den Flanken. Das war ein seltsamer Anblick, den er sehr genoß.
    Foremon gab dem Steinkind Beine und zwei vordere Gliedmaßen, einen Kopf mit einer zapfenförmigen Schnauze, und Augen, ohne die Fähigkeit zu sehen. Steinkind konnte sich nur bewegen, wenn er es wollte. Es sah nicht, es dachte nicht, es sprach nicht. Aber es war bei ihm, und durch seine Anwesenheit vermittelte es dem Wächter so etwas wie Daseinsfreude.
    „Komm, Steinkind! Wir spazieren durch die Ebene."
    Neben ihm bewegte sich das Spielzeug durch Rinnen und Spalten aus Basalt. Es war dem Wächter an Geschwindigkeit unterlegen. Jedenfalls war das anfangs so. Je länger der Spaziergang dauerte, je mehr Jahrzehnte vergingen, desto leichter ging ihm die Animation des Leblosen von der Hand.
    Steinkind wurde zu einem Teil seiner selbst. Heutzutage lag die Geburt so lange zurück, daß er sich kaum noch erinnerte.
    Foremon konnte sich nicht vorstellen, daß er das Ende der Ewigkeit ohne Steinkind erreichen würde.
    Jeder braucht etwas, das ihn aufrechthält. Manche brauchen wenig. Ich brauche fast gar nichts.
    Keiner der Passagiere hatte sein Spielzeug jemals zu Gesicht bekommen. Für ihn bedeutete es Schöpferkraft - für Außenstehende war Steinkind nur
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