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1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)

1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)

Titel: 1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
Autoren: Sabine Ebert
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Biskuitgebäck in sich hineinstopfte, und drängte: »Nun sag endlich, was ist geschehen? Wo ist dein Vater? Weiß er überhaupt, wo ihr beiden steckt?«
    Mit einer energischen Bewegung streifte sie die drückenden Schuhe ab, ließ sie auf den Boden poltern und redete weiter, ohne zwischendurch richtig Luft zu holen. »Euer guter Onkel und ich, wir haben uns solche Sorgen um euch gemacht! Man munkelt, es habe gestern Kämpfe südlich von Leipzig gegeben, in eurer Gegend. Eine riesige Schlacht, Preußen unter General Blücher und Russen gegen Napoleon . Deshalb sind auch die Truppen abgezogen, die wir hier als Einquartierung hatten. Doch es gibt noch keinerlei Nachricht, wie die Sache ausgegangen ist.«
    Henriette ließ die Schale mit dem Gebäck in den Schoß sinken.
    »Die Schlacht hab ich von weitem gehört, den Kanonendonner«, sagte sie mit brüchiger Stimme. »Es war schrecklich. Aber da waren wir schon auf der Flucht, der Franz und ich – seit Freitag.«
    »Seit vier Tagen?!« Johanna fiel erneut aus allen Wolken.
    »Am Freitag und Samstag wurde schon ganz nah bei Weißenfels gekämpft. Napoleon selbst soll seine Truppen dorthin geführt haben«, berichtete Henriette leise. »Unmengen Soldaten lagerten um die Stadt und mittendrin. Sogar auf dem Marktplatz biwakierten welche.«
    Sie holte tief Luft und blickte starr geradeaus, ein paar Tränen wegblinzelnd. »Vater ist tot. Er starb am Dienstag.«
    »Das Lazarettfieber?«, rief Johanna erschrocken und rückte instinktiv ein wenig ab, wofür sie sich im nächsten Augenblick schämte. Der Schrecken darüber, die Nichte könnte die gefährliche Krankheit mitgebracht haben, ließ die Nachricht kaum in ihr Bewusstsein eindringen, dass der Schwager gestorben war – ein Buchbinder, dessen Werkstatt in den letzten Jahren gerade das Nötigste für seine Familie einbrachte, weil sich nur noch wenige Kunden die prachtvollen Ausstattungen leisten konnten, auf die er sich so gut verstand.
    »Seit wir hörten, dass Leipzig seine Lazarette wegen Überfüllung nach Weißenfels auslagert, fragten wir uns andauernd, wie es euch nun gehen mag«, beteuerte Johanna.
    »Es war sein Herz. Der Arzt sagte, es wollte einfach nicht mehr schlagen.« Jette wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln, öffnete den Mund und streckte zum Beweis kurz die Zunge heraus.
    »Sieh, keine roten Ränder an der Zunge! Franz und ich, wir wären längst auch krank, wenn es das Lazarettfieber gewesen wäre. Wegen des Krieges und der Seuchen mussten wir Vater schnell beerdigen, ohne euch eine Nachricht schicken zu können. Alles ist anders geworden durch den Krieg. Nichts ist mehr, wie es war.«
    Sie stockte, stellte das Gebäck beiseite und senkte den Kopf.
    »Da stand ich nun ganz allein und wusste nicht, wie ich den Franz durchkriegen sollte. Ich hatte Angst, ich war verzweifelt. Und dann kam dieser Soldat ins Haus und fing an, alles auf der Suche nach Geld oder irgendetwas Wertvollem zu durchwühlen. Dabei hatten wir gar nichts mehr. Die Stadt ist seit Wochen mit Verwundeten überfüllt – alles Männer, die vom Feldzug aus Russland zurückkehrten. Das waren auch Franzosen, aber wenn man sah, in welch elendem Zustand sie waren, blutete einem das Herz. Wir gaben ihnen von dem wenigen, das wir noch besaßen, damit sie nicht verhungerten, zerrissen Betttücher zu Verbänden. Doch der, der am Freitag in unser Haus kam, der war gesund und wollte nur plündern. Ich flehte ihn auf Französisch an, so viel mir in meiner Angst einfiel, uns zu verschonen, weil wir Waisen waren. Doch das kümmerte ihn nicht.«
    Unwillkürlich legte sie eine Hand an den Hals und schluckte mühsam. »Er riss mir das Medaillon mit dem Bild meiner Mutter ab – das Einzige, was mir von ihr geblieben ist … Und dann nahm er unser letztes Brot. Er hielt es mir drohend vors Gesicht und verlangte mehr. Er schrie und drückte mich gegen die Wand … Ich tastete um mich und hielt plötzlich den Schürhaken in der Hand … und damit habe ich zugeschlagen. Er fiel zu Boden, und Blut lief über sein Gesicht. Das … hab ich nicht gewollt.«
    Sie spreizte ihre Finger ab und betrachtete sie wie einen fremden Gegenstand. »An meinen Händen klebt nun Blut. Wie soll ich damit leben?«, fragte sie und fiel ihrer Tante schluchzend um den Hals.
    »Was macht der Krieg nur aus uns allen?«, murmelte Johanna bedrückt, während sie der Nichte den Rücken tätschelte. Aus der Nähe hatte sie die Würgespuren am Hals des Mädchens gesehen. Dass
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