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1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)

1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)

Titel: 1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
Autoren: Sabine Ebert
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gegessen und sich den Schmutz der Landstraße vom Leib gewaschen hatte. So erschöpft sie auch war, sie konnte nicht schlafen.
    Die Erinnerungen an das in den letzten Tagen Durchlittene loderten in ihrem Kopf, der Donner der Kanonen hallte ihr noch in den Ohren … und dazwischen die Worte, die ihr Bruder irgendwann während ihrer viertägigen Flucht gemurmelt hatte: »Er lebt noch. Dieser Franzose. Er hat noch geatmet, ich hab’s genau gesehen.«
    Henriette wusste nicht, ob das stimmte. Aber sie wünschte, es wäre so. Und hier war sie hoffentlich weit genug fort von ihrem Haus in Weißenfels, um nicht gefunden und bestraft zu werden.
    Als ihr Vater noch lebte, da hatte sie begeistert die patriotischen Schriften Ernst Moritz Arndts und die Gedichte Theodor Körners gelesen, den sie in jugendlicher Schwärmerei verehrte und der vor drei Jahren, als er noch in Freiberg studierte, gegenüber dem Haus ihres Onkels am Untermarkt wohnte. Alle Mädchen der Stadt hatten dem gutaussehenden jungen Mann mit den dunklen Locken und den schönen Augen nachgeschaut. Doch der Student aus Dresden schien nur Spott für sie übrig zu haben.
    Sie hatte etwas tun wollen, so wie die preußischen Frauen ihrem Land halfen, sich gegen den Unterdrücker zu wehren. Oder die Aufständischen in Lübeck und Hamburg. Und sie fand die Vorstellung atemberaubend, dass sich alle Deutschen gemeinsam erheben könnten, um die Besatzer aus dem Land zu jagen und sich zu einer geeinten Nation zusammenzuschließen. Weshalb Preußen oder Württemberger in Sachsen als Ausländer galten, obwohl sie alle eine Sprache sprachen, das war für sie nicht einzusehen.
    Doch als sie die verwundeten Franzosen pflegte, die aus Russland heimgekehrt waren, diese ausgemergelten Gestalten mit ihren Erfrierungen und furchtbaren Wunden, da konnte sie nichts anderes als Mitleid mit ihnen empfinden.
    Und dann hatte sie vielleicht getötet und war bis ins Mark entsetzt über sich selbst.
    Ob jener Fremde wohl freiwillig in den Krieg gezogen war, um andere Menschen umzubringen? Oder hatte er sich nach Hause gesehnt, sich genauso wie sie gefürchtet und wollte einfach nur überleben?
    Was wäre geschehen, wenn dieser Mann ihren Angriff abgewehrt hätte? Schaudernd bei der Erinnerung an die Szene starrte sie auf ihren Bruder, der in dem schmaleren Bett unter dem Fenster schlief.
    Sie machte sich Gedanken um
einen
Toten, während gestern vermutlich Tausende gestorben waren.
    »Scht! Wir reden nicht mehr davon. Schau nach vorn!«, hatte die Tante gesagt.
    Wie sollte sie jemals vergessen, was sie getan hatte?
    Sie würde nie wieder eine Zeile schreiben oder ein Gedicht lesen können. Das Recht dazu hatte sie durch ihre Bluttat verwirkt.
    Henriette krümmte sich noch mehr zusammen, zog die Knie an und umschlang sie mit den Armen.
    Ihr Bruder murmelte etwas im Schlaf, wurde unruhig und schlug laut stöhnend um sich. Rasch ging sie zu ihm und berührte ihn erst sanft an der Schulter, dann rüttelte sie ihn, bis er die Augen aufschlug und sie verständnislos anstarrte.
    »Du hast schlecht geträumt, Franz«, sagte sie, umschloss ihren Bruder mit den Armen und wiegte ihn. Ohne Protest duldete er, was er sonst verwehrte, seit er fünf geworden war.
    »Wir sind in Freiberg. In Sicherheit. Du musst keine Angst mehr haben«, flüsterte sie. Wortlos ließ sich Franz wieder auf das Laken sinken, drehte sich zur Seite, zog die Decke über das Gesicht und schien einzuschlafen.
    Fröstelnd ging Henriette zurück ins Bett. Die Arme um die Knie geschlungen, lag sie da und dachte nach, bis sie unten die Haustür zuschlagen hörte. Das musste wohl der Onkel sein.
    Sie wartete so lange ab, wie Tante Johanna wohl brauchen würde, um ihrem Mann zu erzählen, was vorgefallen war. Dann schlüpfte sie in den viel zu langen und zu weiten cremefarbenen Morgenmantel mit rosa Rüschen, der neben der Tür hing, und ging die Treppe hinab, um den Oheim zu begrüßen. Das gehörte sich wohl, wenn er sie und Franz bei sich aufnehmen sollte.

Gespräche bei Tisch
    Freiberg, 3 . Mai 1813
    M itfühlend sah Friedrich Gerlach durch die ovalen Brillengläser auf seine Nichte, die barfuß und mit ängstlichem Blick im ihr viel zu großen Morgenmantel seiner Frau auf der Treppe stand. Sie war schon immer zart für ihr Alter gewesen, aber nun wirkte sie auf ihn wie der Inbegriff von Zerbrechlichkeit.
    »Jette, Liebes, natürlich seid ihr hier willkommen«, sagte er warmherzig, ging ihr entgegen und schloss sie in seine
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