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1721 - Utiekks Gesandte

Titel: 1721 - Utiekks Gesandte
Autoren: Unbekannt
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Ende des dritten Lebensjahrs. Das Laufen lernte die Kleine innerhalb kürzester Zeit, nach dreißig Tagen schon. Bis sie imstande war, aus eigener Kraft Nahrung aufzunehmen, dauerte es nicht viel länger. Sie hatte weiche Zähne, höchstens für zusammengekochte Brocken von Getreide geeignet. Man durfte ihr nur kleine Brocken geben, weil eine so junge Barrayd kaum ein Viertel so groß war wie Semiodd und nicht richtig schlucken konnte. Der Mund beherrschte mit seinem staunenden, von Neugierde geprägten Ausdruck das untere Drittel des Kugelschädels. Und mit jedem Tag trat die Maserung in der Mitte ihres Gesichtes stärker hervor.
    Ouidane... Mit schwarzem Flammenmuster auf albinotischweißer Lederhaut.
    Die beiden Kombiorgane, die seitlich am Hals saßen und als Hör-, Atmungs- und Geruchsorgan gleichzeitig dienten, waren sehr empfindlich und vertrugen keinen Druck. Deshalb hütete sich Semiodd, sie in diesem Alter zu hart zu schlagen. Er hätte vielleicht Schäden angerichtet, die nicht wiedergutzumachen waren.
    Im Alter eines halben Yolmor-Jahrs lernte die junge Immune sprechen.
    Zwar brachte sie keine sehr differenzierten Laute heraus, dazu war die Mundhöhle zu wenig ausgebildet, doch Bedürfnisse wie Hunger, Durst oder Wärme formulierte sie deutlich.
    Ouidane war ein überdurchschnittlich intelligentes Kind. Darüber freute sich der Lehrer; was ein immunes Kind in den ersten Lebensjahren nicht lernte, holte es später kaum mehr nach.
    Zur selben Zeit verfestigte sich die Struktur der Kombiorgane so sehr, daß Semiodd bedenkenlos zuschlagen konnte. Es war dringend notwendig: Barrayd in diesem Alter stellten ständig ihre Grenzen auf die Probe. Natürlich bemerkte Quidane, daß sie etwas Besonderes war, und behandelte gleichaltrige Kinder mit Absicht grausam. Niemand außer Semiodd getraute sich, sie zu schlagen, weil sie eine Immune war. Seit langer Zeit die erste in Zhanth. Der größte Schatz der Stadt.
    Ein Kind, das nicht ab frühester Jugend seinen Platz in der barrayischen Gesellschaft einzuschätzen lernte, wies im Erwachsenenalter zwangsläufig unsoziales Verhalten auf. Kinder mit weichem Gehör, also mit organischen Schäden von Geburt an, die nicht geschlagen werden konnten, wurden als Erwachsene häufig hingerichtet.
    Ein wichtiges Indiz für körperliche Gesundheit stellte die Entwicklung der Arme dar. Bei jungen Barrayd waren die beiden Speichen noch durch Hautlappen zusammengewachsen, um ihnen Halt zu vermitteln. Erst lange nach der Geburt, mit der Verfestigung der Knochenstruktur, lösten sich die Lappen ab. Wenn man zwischen beide Speichen den Finger stecken konnte, war der Abstand richtig. In Ouidanes Fall paßte der Abstand perfekt.
    Am Ende des ersten Lebensjahres stach die Feuerzeichnung ihres Gesichtes deutlich hervor. Semiodd fragte sich oft, ob das ein Zeichen Utiekks war: Im aufkommenden Zeitalter Thirne wird sich das Volk erheben, sein Gefängnis verlassen und im alten Glanz erstrahlen.
    Eines Abends jedoch wurde Semiodd bewußt, daß die Zeichnung etwas völlig anderes bedeuten konnte. Denn in dieser Nacht weckte ihn Quidane mit wütendem Geschrei. Die Kleine rüttelte an seiner Schulter, bis der Lehrer erwachte. Es war dunkel im Raum, nur durch das Fenster drang von den Himmelsgestirnen diffuses Licht.
    „Ouidane...", murmelte er schläfrig. „Was ist los?"
    „Gestank", flüsterte das Kind.
    Es war sehr ängstlich.
    Und Semiodd, der mit seinem eigenen Leben für ihres verantwortlich war, wurde von einer Sekunde zur nächsten vollständig wach. Er sog automatisch Luft ein - und identifizierte einen strengen, beißenden Geruch.
    Irgend etwas brannte!
    Der Lehrer sprang auf, riß die Tür zum Flur auf und brüllte etwas durch den Qualm, der plötzlich ins Zimmer drang. Das ganze Haus brannte.
    Wenn das lehmartige Material einmal in Flammen stand, konnte man es höchstens mit Chemikalien löschen. Die jedoch befanden sich im Erdgeschoß, für Semiodd unerreichbar.
    Herth wußte es schon damals, bei der Geburt. Utiekk verweigert ihren Segen.
    Die Flammenzeichnung in Quidanes Gesicht, sie stand für qualvollen Feuertod. Eingeschlossen in einer Baracke aus Lehm, von der nichts bleiben würde als das Plastikgerüst.
    Höchstens zehn Sekunden. Bis die Flammen durch die Wand gebrochen sind.
    Semiodd packte sich die vor Panik zitternde Ouidane, barg sie so sicher wie möglich in seinen Armen und sprang mit einem todesmutigen Satz aus dem Fenster. Wohin der Sprung führte, konnte er durch
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