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17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut

17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut

Titel: 17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut
Autoren: Karl May
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ihn mir zu übergeben!“
    „Er befand sich in meinen Händen, nicht in den deinigen. Ich konnte tun, was mir beliebte. Wenn du ihn haben willst, so hole dir ihn!“
    „Wagst du wirklich, in dieser Weise mit mir zu reden! Ich frage zum dritten Mal, ob ich dich niederschlagen soll?“
    „Und ich antworte zum dritten Mal nicht auf diese Frage. Du selbst hast gesagt, daß wir nichts mehr miteinander zu schaffen haben, also laß mich in Ruh!“
    Meine Gelassenheit imponierte ihm; aber es kostete ihn dennoch gewaltige Anstrengung, seinen Grimm zu meistern. Die Haddedihn waren auch herbeigekommen; sie standen hinter ihm. Hätte er sie aufgefordert, mich zu packen, so weiß ich wirklich nicht, ob sie ihm gehorsam oder nicht gewesen wären. Ihr Sinn war eben auch auf Kampf und Rache gerichtet. Ich ging vorwärts, an Amad el Ghandur vorbei und mitten zwischen ihnen hindurch. Sie wagten doch nicht, mich zu hindern. Da drehte ich mich noch einmal zum Scheik zurück und sagte:
    „Übrigens sprach dieser Kurde davon, daß wir verloren sind, weil wir hier einen schlechten Platz haben. Seine Truppe besteht nicht mehr aus zwölf, sondern aus hundertzwanzig Kriegern. Sieh zu, wie du mit ihnen auskommst!“
    „Hundertzwanzig? Das ist Lüge!“
    Ich tat, als hätte ich diese Beleidigung nicht gehört, und ging zu meinem Pferd, wo ich mich niederlegte. Später löste ich Halef und seinen Sohn ab und blieb bis zum Morgen wachend in der Felsenenge liegen.
    Es war keine gute Nacht. Es schien geradezu ein Teufel in die Haddedihn gefahren zu sein. Wie hatten sie sich über mein Kommen gefreut! Welche Achtung und Zuneigung hatten sie mir erwiesen! Und nun waren sie mir so plötzlich beinahe feindlich gesinnt. Das war der Rausch der Rache. Wer es nicht selbst erfahren hat, der kann es gar nicht glauben, welchen Einfluß sie auf einen halbwilden Menschen besitzt. Kommt es doch auch in unseren zivilisierten Ländern gar nicht selten vor, daß ein Mensch seine Ehre, sein ganzes Lebensglück von sich wirft um einer Rache willen, die nicht nur unchristlich, sondern zuweilen geradezu lächerlich ist. Wenn das Christen tun, wie soll man da über einen Beduinen, Indianer, Hottentotten oder Australneger richten!
    Dies waren die Gedanken, welche mich während der Nacht beschäftigten. Als es Tag geworden war, ging ich zu meinem Rih, um ihn zu füttern. Er leckte mir die Wangen und die Hände und war außerordentlich zärtlich, weil ich während der Nacht nicht bei ihm gewesen war. Er hatte sich nach mir gesehnt. Ich hatte ein Säckchen mit Datteln für ihn mitgenommen, ihm bisher aber nur wenige davon gegeben, weil wir stets Gras gefunden hatten. Hier oben gab es aber nur ein sehr spärliches Grün, und da mir ahnte, daß es heute zum Kampf kommen und vielleicht für mich einen Grund geben werde, mich auf die Schnelligkeit und Ausdauer meines Pferdes zu verlassen, gab ich ihm alle diese Datteln zu fressen. Er war noch nie so zärtlich mit mir gewesen, rieb seinen schönen Kopf immerfort an mir und suchte mich auch von hinten mit dem Schwanz zu erreichen. Das kluge Tier wußte, daß es nicht laut werden durfte; es wollte gern vor Liebe wiehern; das merkte ich ihm an; da es sich dies aber nicht getraute, so gab es wiederholt einen Ton von sich, welcher zwischen Wiehern und Schnauben innestand. Er war mit dem Drucksen und Glucksen einer Henne zu vergleichen, welche ihre Küchlein unter ihre Flügel lockt. Wenn es nicht für lächerlich gehalten werden könnte, möchte ich fast sagen, Rih ahnte, was ihm bevorstand, wollte mir zum letzten Mal seine Liebe zeigen und Abschied von mir nehmen. Ich schäme mich nicht, zu gestehen, daß mir, indem ich heute dieses schreibe, einige sehr unmännliche Tropfen aus den Augen rinnen.
    Auch Amad el Ghandur hatte nicht geschlafen. Er lehnte mit dem Rücken am Grabmal seines Vaters und verfolgte meine Bewegungen mit düstern Blicken. Seine Verwundung war jedenfalls nicht leicht, und in seinen Augen flackerte es, als ob das Fieber bereits im Anzug sei. Ich ging trotz allem, was gestern zwischen uns vorgekommen war, zu ihm hin, um mich zu erkundigen und ihm meine Hilfe anzubieten; er aber wandte sich hastig ab und sagte:
    „Packe dich fort! Es soll mich nie wieder ein Christ berühren!“
    Nun beorderte ich Halef wieder als Wache in die Felsenenge, hing den Stutzen über und stieg den Berg hinab, um zu den Kurden zu gehen. Halef wollte unbedingt mit; ich gab dies aber nicht zu. Das Wagnis war zu groß, als daß ich
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