Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
169 - Die Drachenmenschen

169 - Die Drachenmenschen

Titel: 169 - Die Drachenmenschen
Autoren: Dämonenkiller
Vom Netzwerk:
den leicht bewölkten Himmel. Sie erinnerte gleichwohl an eine Blüte wie an eine Dornenkrone und galt als eines der großen Werke von Oskar Niemeyer, des verantwortlichen Architekten von Brasilia.
    „Um die filigranartige Struktur des Rundbaus und die wabenförmigen Fenster hervorzuheben, wurde gänzlich auf Farben verzichtet", sagte Feodora Munoz. „Bemerkenswert sind noch der in Schwarz gehaltene unterirdische Eingang als Meditationszone und der Opferstock, ein Panzerschrank mit einem Schlitz auf der Oberseite."
    „Zumindest originell", ließ Coco sich vernehmen.
    „Nicht nur das. Hinter dem Altar führen Treppen zur Gedenkstätte hinab. Es wird zwar nicht gern gesehen, aber viele Besucher probieren es immer wieder: Flüstert jemand, der links im Eingang steht, wandert dieses Flüstern an der Wand entlang rund um den Innenraum herum und ist rechts am Eingang noch deutlich zu vernehmen. Ein bemerkenswertes Phänomen."
    Beiderseits der Straße schlossen sich nun die eher einfallslosen Bauten der Ministerien an.
    „Ich bin auf der Suche nach meinem Bruder Lucio", sagte Feodora unvermittelt. „Seit Wochen fehlt jedes Lebenszeichen von ihm. Dabei wollte er sich sehr bald wieder bei mir melden."
    „Aus Brasilia?"
    „Irgendwo aus der Region des Rio Xingu. Ich fürchte, er ist im Mato Grosso verschwunden." Sie beugte sich kurz vor und tippte dem Fahrer auf die Schulter. „Bitte halten Sie hier und warten Sie auf uns", sagte sie auf Portugiesisch mit dem typischen rhythmischen Akzent, der in Portugal selbst nicht gebräuchlich war. Sie reichte ihm einen der neuen Cruzado-Scheine, die erst seit kurzem im Umlauf waren und die inflationären Cruzeiros ablösten. „Damit er auch wirklich wartet", murmelte Feodora auf Englisch und warf einen verstohlenen Blick auf ihre Armbanduhr.
    Sie befanden sich in unmittelbarer Nähe des Palasts der Bögen, wie der beinahe völlig von Wasser umgebene Sitz des Außenministeriums seiner geschwungenen Fassade wegen genannt wurde. Feodora behauptete allen Ernstes, daß den Gärtnern Ruderboote zur Verfügung stünden. „Gehen wir ein Stück", schlug sie vor. „Es ist noch genügend Zeit."
    Coco war stehengeblieben. „Ich glaube, daß Sie uns nur hinhalten", sagte sie hart. „Erzählen Sie mir nicht, daß Sie aus purer Freundlichkeit den Fremdenführer spielen."
    „Dahinter steckt bestimmt keine böse Absicht", wehrte Feodora entschieden ab.
    „Was dann?"
    „Die Sorge um meinen Bruder"
    „Den Zusammenhang verstehe ich ebenfalls nicht, Feo." Dorian fischte eine halb zerknüllte Zigarettenschachtel aus seiner Tasche und klopfte einen Glimmstengel heraus. „Du solltest dich endlich genauer äußern."
    Sie blickte auf die beiden hohen Bürotürme des Kongresses, die aus einer Senke aufragten. Dahinter öffnete sich der weitläufige Platz der Drei Gewalten. Das Candango-Denkmal, die beiden kolossalen bronzenen Zwillinge mit den Speeren, waren ein Blickfang.
    „Lucio ist der zweitälteste von meinen Brüdern und eigentlich derjenige, mit dem ich mich als Kind am besten verstand. Vielleicht, weil er ebenfalls besondere Kräfte von unserer Mutter geerbt hat. Sein begonnenes Medizinstudium brach er ab, da seine Leidenschaft doch eher der unerforschten Natur galt. Mit einer kleinen Expedition wollte er vor mehr als zwei Monaten den Mittellauf des Rio Xingu erkunden. Es soll dort einige seltene Pflanzen- und Tierarten geben."
    „Haben die Behörden sich des Falles angenommen?" fragte Dorian nachdenklich.
    „Man kann im Regenwald Monate unterwegs sein, ohne ein Lebenszeichen von sich zu geben.
    Selbst daß kein Funkspruch mehr kommt, hat nichts zu bedeuten."
    „Na also", sagte Coco. „Ihre Sorgen sind völlig unnötig, Sie werden sehen."
    „Eben nicht." Die Mulattin schüttelte den Kopf. „Etwas Schlimmes ist geschehen, ich fühle es." „Dämonen?" Dorian steckte die Zigarette in die Schachtel zurück. „Vielleicht sollte ich mir endlich das Rauchen abgewöhnen." Er ließ seinen Blick über den Platz und den Park schweifen, der sich bis zum See hinab ausbreitete. Weit im Hintergrund, im Dunst des Tages fast verschwindend, erhoben sich die sanft geschwungenen Höhen des Planalto Central, des kühlen Zentralen Hochlands. Alles, was er bislang von Brasilia gesehen hatte, wirkte weitläufig und gerade, klar gegliedert und bis ins Detail geplant. Nur die Atmosphäre fehlte, die andere Städte mit ihrem quirlenden Leben erfüllte.
    „Du hast meine Frage noch nicht beantwortet",
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher