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1666 - Der weite Horizont

Titel: 1666 - Der weite Horizont
Autoren: Unbekannt
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nachdem er seinen Stamm verlassen hatte. Als erster Nasran seit langer, langer Zeit hatte er es gewagt, den Schritt über die bekannte Grenze seines Landes hinaus zu tun - ins Anderland, wie jeder das nannte, was hinter der Stelle lag, von der aus man sein eigenes Dorf gerade noch sah. Wenn man sich so weit entfernte, daß man den Blick darauf verlor, so hieß es bei den Stämmen, dann war man rettungslos verloren und fand nie mehr zurück.
    Boccu hatte immer geahnt, daß dies Unsinn war, ein dummer Aberglaube. Sein Geistvogel Attan hatte sie ihm oft gezeigt, diese anderen Länder und anderen Stämme.
    Und er hatte Boccu versprochen, ihn bis zum Weiten Land zu führen, das er bisher nur aus den Legenden seines Volkes kannte.
    Das heißt, jeder Stamm hatte diese Legende vom Weiten Land, in denen es aber auch hieß, daß nur jene Stämme von ihm wußten, die ganz in seiner Nähe lebten. Das Weite Land war eines der wenigen großen Rätsel der Welt. Und Boccu wollte es unbedingt sehen. Er hatte die Nasran verlassen, weil sie ihm übel mitgespielt hatten und er andere Länder kennenlernen wollte.
    Sein großes Ziel war und blieb aber das Weite Land.
    Und diese merkwürdigen Fremden interessierten sich auch so brennend dafür? „Hör mir zu, Boccu", bat Henna. Die anderen Fremden setzten sich um sie herum ins Gras oder auf Steine. Bald würde es dunkel werden. Boccu hatte keine Ahnung, woher sie kamen und wo sie wohnten. Hier im Popaluu-Land waren sie auf keinen Fall zu Hause. Wenn sie zu einem anderen Stamm gehörten, dann waren sie Wanderer wie er und gaben nichts auf den Aberglauben. Aber er war ein Einzelgänger - und sie so viele! „Bitte paß auf", begann Henna, als er es ansah. Er dachte von Henna als einem „Es", weil er nicht feststellen konnte, ob er es mit einem Mann oder einer Frau zu tun hatte - oder gar mit einem Neutrum wie ihm. „Meine Freunde und ich, wir kommen von weither, von den Sternen." Henna zeigte senkrecht in den Himmel und sah, wie er erschrak. „Nein, nein, wir sind keine Götter, sondern Geschöpfe wie du. Ich will später versuchen, es dir zu erklären. Es gibt viele Welten, auf denen Wesen wie du oder ich leben, Boccu, aber deine unterscheidet sich von allen anderen in einem ganz bestimmten Punkt. Glaubst du, daß du mir so weit folgen kannst?"
    Andere Welten. Das waren für die Nasran immer die anderen Länder gewesen, das Anderland. Boccu hatte schon weitergedacht. Ein Land war für ihn das Gebiet eines Stammes, und die Welt alle Länder zusammen. Sein Geistvogel hatte ihn gelehrt, so zu denken. Jetzt wünschte er sich, Attan käme zu ihm und würde ihm erneut helfen. „Ich will versuchen, dich zu verstehen", sagte der Dritte endlich. Seine Zunge war gelöst, das Sprechen wie eine Befreiung. „Ich begreife zwar noch nichts, aber rede nur weiter Henna. Was bist du?"
    „Eine Akonin", erwiderte es, anscheinend erfreut darüber, daß er seine Sprache wiedergefunden hatte. „Das ist sicher der Name deines Volkes. Nein, ich meine, welches Geschlecht du hast?
    Frau, Mann, Neutrum? Wenn ich das weiß, ist mir das eine Hilfe."
    Henna schien daran zu zweifeln und verzog das Gesicht wieder so wie gerade vorhin.
    Es schien ein Lachen zu sein. Daß die Fremden keine langen Ohren hatten, die je nach Gemütszustand ihre Haltung veränderten, machte es ihm nicht leichter, sie einzuschätzen. „Ich bin eine Frau", sagte Henna, und ab jetzt dachte Boccu von ihr als von einer „Sie".
    Danach stellte sie der Reihe nach ihre Gefährten vor, mit Namen und Geschlecht. „Es gibt bei uns keine Neutren", erläuterte sie. „Bei uns genügen Mann und Frau zur Fortpflanzung."
    Boccu vernahm es staunend.
    Das war der Augenblick, in dem sich Boccu wieder einmal eine ganz neue Frage stellte.
    In den letzten Tagen und Wochen seiner Wanderung, als er verschiedene Stämme kennenlernte und schließlich bei den Popaluu „hängenblieb", weil deren beide Dritte bei einem der häufigen Beben ums Leben gekommen waren, waren ihm solche Fragen immer wieder in den Sinn gekommen.
    Fast alle Stämme sahen verschieden aus. Sie brauchten alle einen wie ihn, einen Dritten, um Kinder zu zeugen. Nur wenn beim Zeugungsakt ein Neutrum anwesend war, hatte die Paarung Erfolg.
    Boccu war von den Popaluu in ihre Dorfgrube geschleppt worden, um das zu tun, was die Aufgabe der beiden toten Dritten gewesen wäre. Und es klappte. Er, der von einem ganz anderen Stamm kam, konnte es möglich machen, daß sich die Popaluu fortpflanzen und
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