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1657 - Der weibliche Golem

1657 - Der weibliche Golem

Titel: 1657 - Der weibliche Golem
Autoren: Jason Dark
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nichts ausmachte.
    An einer Seite hatte er die lange Werkbank aus stabilem Holz aufgebaut. Dort lagen seine Instrumente, die er benötigte, um den Stein zu bearbeiten. Er hatte sie in der letzten Zeit nicht gebraucht, weil sein großes Werk vollendet war.
    Es stand mitten im Raum!
    Aber es war nicht zu sehen, weil er es mit einem Tuch verhängt hatte. Pavel ging darauf zu. Er machte nur kleine Schritte, wie jemand, der sich kaum traute oder voller Ehrfurcht steckte. Auf seinem Gesicht lag der Ausdruck des Staunens, und sein Mund hatte sich leicht in die Breite gezogen.
    Vor dem verhüllten Kunstwerk blieb er stehen. Er flüsterte einige Sätze, die ihm in den Kopf gekommen waren, ohne recht zu wissen, was sie bedeuteten. Erst danach war er bereit.
    Beide Hände streckte er vor, damit er das Tuch greifen konnte, das sein Werk noch verhüllte.
    Er blieb so stehen, lauschte in die Stille. Er musste sich erst fangen, noch mal konzentrieren, dann war er so weit und zerrte das Tuch von seinem Kunstwerk weg. Das Tuch bestand aus leichtem Leinen und flatterte zu Boden. Dort blieb es liegen.
    Der Blick auf sein Kunstwerk war frei, und er schaute geradewegs auf eine nackte Frau…
    ***
    Ja, sie war es. Sie stand vor ihm. Es war kein Traum. All seine Arbeit hatte sich gelohnt. Ihn durchfuhr ein innerlicher Jubel. Pavel hatte Mühe, auf den Beinen zubleiben. Er wäre auf liebsten auf die Knie gefallen und hätte sein Kunstwerk angebetet. Es war wunderschön!
    Normalerweise arbeitete er nicht mit Marmor. Hier aber hatte er es getan, auch wenn das Material sehr teuer gewesen war. Diese Frau hätte nichts anderes verdient. Das Licht im Raum ließ sie noch stärker glänzen.
    Er fuhr mit der Hand über die Rundungen der Oberschenkel. Sie waren so wunderbar glatt. Wenn auch nicht weich oder nachgiebig wie bei einem Menschen. Aber das brauchten sie auch nicht. Andere Dinge waren wichtiger.
    Lange hatte er sich Gedanken darüber gemacht, wie er sein Werk nennen wollte. Kurz vor der Vollendung war ihm der Begriff dann eingefallen. Sein Werk hieß: Der weibliche Golem.
    Ja, das war er dieser künstlichen Person schuldig, besonders wenn er daran dachte, dass er aus Prag stammte, wo vor einigen Hundert Jahren der Rabbiner Lowben Bezaleel eine künstliche Menschenfigur erschaffen hatte, eben den Golem. Low war besessen davon gewesen, ein wichtiges Geheimnis zu erforschen. Einen künstlichen Menschen zum Leben zu erwecken. Das konnte geschehen, wenn er dem Golem einen Pergamentstreifen mit dem richtigen Namen Gottes in den offenen Mund schob. Dann wurde der Golem zum Leben erweckt und fiel wieder zurück in die Totenstarre, wenn der Streifen aus dem Mund entfernt wurde. Ob das alles nur eine Legende war oder auf Tatsachen beruhte, wusste er zwar nicht genau, er ging aber davon aus und sah sich deshalb in der Nachfolge des Rabbiners. Nur stand vor ihm kein Mann aus Lehm, sondern eine nackte Frauengestalt aus Marmor, an der er sich einfach nicht sattsehen und kaum glauben konnte, dass er es gewesen war, der dieses Kunstwerk erschaffen hatte.
    Für ihn war die Frau nicht nur wunderbar, er sah sie als die Schönste auf der Welt an. Sie war einmalig, so etwas würde es nie mehr geben.
    Er sah an ihr hoch. Für den nackten Körper hatte er die perfekten Brüste geschaffen. Nicht zu groß und nicht zu klein. Sie standen leicht ab, und da die Gestalt den Kopf ein wenig gesenkt hatte, sah es so aus, als wollte sie ihre weiblichen Attribute für immer betrachten. Darunter begann ein schmaler Leib, der nur einen geringen Bauchansatz aufwies. Dafür konnte man von einladenden Hüften sprechen, gegen die die beiden Hände der angewinkelten Arme gelegt waren. Die Schenkel hatte er prall gestaltet, so wie er es mochte. Auch die Schultern waren rund und nicht zu knochig, es war eigentlich alles perfekt, und das galt auch für das Gesicht.
    Hawelka hatte stets für den großen Künstler Leonardo da Vinci geschwärmt. Für seine auf die Leinwände gebrachten Kunstwerke und besonders für die Frauen, die seinem Idealbild gleichkamen. Deshalb hatte er versucht, das Gesicht so zu gestalten, wie sein Vorbild es gemalt hätte.
    Ein sehr glattes Gesicht, das alterslos wirkte. Er verglich es mit dem Lächeln der Mona Lisa, das schließlich auch einmalig war. Da gab es keine Falte, da stimmte jede Proportion, weder ein zu kleiner Mund noch ein zu großer. Bei den Augen hatte er sich besonders viel Mühe gegeben und sah ihre Erschaffung als sein wahres Meisterwerk an.
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