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164 - Der vielarmige Tod

164 - Der vielarmige Tod

Titel: 164 - Der vielarmige Tod
Autoren: Ronald M. Hahn
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korrigierte Pofski. »Wir Ballonfahrer sagen ›fahren‹, nicht ›fliegen‹, Gospodin.«
    »Verzeih meine mindere Bildung.«
    Der gut aussehende Bursche – Pofski sah, dass sie ungefähr gleichaltrig waren, also Mitte der dreißig Winter – verbeugte sich erneut. »Nun, als ich dich und deine hübsche Gefährtin sah, dachte ich mir, dass es vermutlich keine schnellere Möglichkeit als die eure gibt, von einem Ort an einen anderen zu reisen.«
    »Fürwahr.« Kapitän Pofski nickte. »Aber ich bin kein Transportunternehmen.«
    »Ich muss dringend in die Gegend von Agra«, sagte Karan Khan mit flehendem Blick, der beinahe Pofskis Herz erweichte.
    Beinahe!
    »Es geht nicht«, erwiderte er. »Ich habe keine Zeit für solche Dinge. Ich muss zu den örtlichen Ordnungsmächten. Meine Gefährtin wurde nämlich gestern Abend von schwarz vermummten Gestalten entführt…«
    Karan Khan schaute auf. »Schwarz vermummte Gestalten?«
    Er wirkte bestürzt. »Beim Barte des Propheten! Dann ist ihr Leben in höchster Gefahr! Wie auch das Leben meiner geliebten Base Kavita – Brahma und Putra mögen sie schützen!« Er trat an den Rand des Korbs heran, der nun erste Anstalten machte, sich vom Boden zu lösen, und warf einen Blick hinein. »Du musst mich mitnehmen!«
    »Ich denke nicht daran!« Kapitän Pofski hob sein Gewehr wieder an und wich einen Schritt zurück.
    »Die Ordnungsmächte in Deeli sind dekadent, korrupt und feige«, sagte Karan Khan schnell, während seine Hände den Rand packten, damit der Korb nicht aufsteigen konnte.
    »Manche behaupten, sie stecken mit den Kaàliten unter einer Decke und melden es ihnen, sobald hübsche Frauen das Land bereisen.« Sein Blick nahm erneut einen flehenden Ausdruck an. »Die Entführer deiner Gefährtin und meiner Base sind vom gleichen Klan! Wenn wir sie finden und retten wollen, müssen wir zusammenhalten!«
    Hinter Pofski ertönte ein Knattern, das ihm nur allzu gut bekannt war: Die aus dem Ofenloch durch den Rüssel nach oben steigende Hitze hatte nun auch die letzte Falte des Ballons ausgebügelt. Der Korb zitterte und bebte und löste sich langsam vom Boden.
    »Ich bitte dich, Herr der Lüfte…!« Der Korb hob sich vom Boden. Karan Khan, der sich am Korbrand festhielt, wurde mit hochgehoben.
    Kapitän Pofski stieß einen Fluch aus. Dann ließ er den Schießprügel fallen und packte den Mann am Kragen. Unter viel Geächze und Geschnaufe gelang es ihm schließlich, den unerwarteten Passagier an Bord zu hieven.
    »Ich danke dir«, keuchte Karan Khan, als er sich von seinem Tornister befreit hatte und mit dem Rücken an der Korbwand saß. »Du wirst es nicht bereuen, dass du mich mitgenommen hast. Als Fremder in unserem Land und ohne mein Wissen wärst du ganz und gar verloren…«
    ***
    Wie Pofski erfuhr, entstammte Karan Khan einer Familie aus Deeli, die nicht nur mit einer Yakk-Zucht ein Vermögen verdient hatte, sondern auch in den Bereichen Kunst, Architektur, Transportwesen und Henkerei prominent war.
    Sein Vater hatte sich als Scharfrichter eines Sultans einen Namen gemacht. Seine Mutter, eine berühmte Dichterin, stammte von dem legendären Gottesmann Uzama Bin Orbeyten ab, den heidnische Truppen aus Meeraka vor Jahrhunderten bei der Teilsprengung des Nanga Parbat ins Paradies der Märtyrer gebombt hatten.
    Karan Khans Mutter hielt jedoch vom Glauben ihres Ahnen nicht viel. »So hält sie es mit allen Glaubensrichtungen – und ich denke genauso.«
    Kapitän Pofski glaubte auch nur an seine alte Gitarre. Aber in manchen Ländern, die man als Ballonfahrer kennen lernte, war es besser, wenn man sich zu diesen Themen nicht äußerte: Eingeborene, die Wakudas heilig sprachen oder Ratzen anbeteten, konnten auf Kritik an ihrem Glauben ziemlich eigen reagieren. Forschern stand es gut an, wenn sie sich tolerant gaben und vor jedem Schwachsinn die Augen verschlossen.
    Andererseits war Pofski natürlich froh, in Karan Khan jemanden kennen zu lernen, in dessen Gegenwart er sich nicht verstellen musste.
    Nachdem Karan fremde Sprachen studiert hatte, war sein Vater der Ansicht gewesen, er solle »etwas Männliches« lernen. So war er bei seinem Onkel Jawaharlal in die Lehre gekommen. Jawaharlal, ein weit gereister Karawanenführer, hatte Karan unter seine Fittiche genommen und ihm einen großen Teil der bekannten Welt und ihrer Völker gezeigt.
    Unterwegs hatte Karan noch mehr Sprachen gelernt. Er hatte sich allerdings auch mit vielen Wegelagerern, Sultansvasallen und
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