Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
163 - Canyon der toten Seelen

163 - Canyon der toten Seelen

Titel: 163 - Canyon der toten Seelen
Autoren: Susan Schwartz
Vom Netzwerk:
Freund.
    Was war es also dann, das Uranus' vertraute Welt in Trümmer gehen ließ?
    Veränderung, hatte Starkholz gesagt. Wir können ihr nie entgehen. Und der Vater ist nicht zimperlich. Manchmal jagt er seine Kinder auch aus dem Haus. Veränderung war im Grunde auch Uranus' Spezialität. Wenn alles verharrend an seinem Platz war, herrschte Ordnung im Wald. Doch jede Bewegung brachte Veränderung, und genau die konnte er erkennen. Er war der Sucher.
    Aber ich, dachte Uranus, ich werde mich nicht verändern.
    Ich bleibe Uranus, weil es nicht anders geht bei dem, was ich tue, und ich tue das, was ich am besten kann.
    Die beiden Städter konnte er nicht fühlen; mit ihnen gab es keine Verbundenheit. Und Morgenblüte war verstummt.
    Uranus konnte nur hoffen, dass sie nicht tot war. Und wenn doch – egal, was Vogler ihm eingetrichtert hatte –, dann sollte ihr Tod nicht ungerächt bleiben. Uranus würde handeln, und zwar schnell.
    Aber noch war sie nicht gefunden, geschweige denn die anderen.
    Der junge Waldmensch lief lautlos durch den Wald, in leicht gebückter Haltung und im wiegenden Gang, wobei seine nackenlangen, grün und schwarz gesträhnten Haare im Takt wippten. Er lief mit flacher Atmung und hellwachen Sinnen, registrierte jedes Geräusch, jede Bewegung, ließ sich durch nichts ablenken. Über helle Lichtungen, an düsteren Stämmen der Starkbäume vorbei, durch die Lücken von duftend blühenden Buschfeldern. Zwischendurch kletterte er auf Bäume, um sich einen Überblick zu verschaffen, den Wald auf sich einwirken zu lassen und den weiteren Weg zu finden.
    Und plötzlich merkte er, dass er einen Bogen lief. Es ging wieder zurück Richtung Herz des Waldes, von wo er aufgebrochen war. Aber er war ganz sicher, noch auf der richtigen Fährte zu sein. Vor allem wurde sie immer jünger und frischer. Die fremden Gerüche in der Luft nahmen zu.
    So erreichte Uranus den alten Teil des Waldes, wo einst die ersten Siedlungen der Waldmenschen entstanden waren. Ein beklemmendes Gefühl beschlich ihn, denn dieses Gebiet war heilig. Es wurde stets voller Ehrfurcht betreten, und die Ausstrahlung alter Kräfte, die vielen Erinnerungen und flüsternden Stimmen der Toten waren deutlich zu spüren. Dies war die Vergangenheit des Waldvolkes, seine Seele.
    Der Ort verströmte eine so starke Aura, dass Uranus in Schritt fiel. Sein Herz öffnete sich weit, sein Atem beschleunigte sich. Was für eine Erhabenheit, dachte er ergriffen. Er war zum ersten Mal hier, aber er erkannte ihn sofort, wie jeder andere von seinem Volk auch.
    Denn dies war die Wiege. Eine Totenstätte, deren jahrhundertealte Gräber längst überwuchert waren, aber zugleich auch die Geburtsstätte, auf der sich das Waldvolk gründete.
    Hier war seine Suche beendet, denn hier gab es keine Veränderung mehr. Dies war ruhende Vergangenheit, die nur selten gestört wurde.
    Jetzt.
    Uranus vergaß seine Wachsamkeit nicht, als er das Heiligtum betrat. Das Sonnenlicht drang nur noch in spärlichen Strahlen durch das dichte rot-grün-weiße Blätterdach und zeichnete verschwommene Muster auf dem moosigen Waldboden. Kein Vogel war mehr zu sehen, hier gab es nur wenig Leben.
    Und dann sah Uranus ihn: frei stehend, sich weit über alle anderen erhebend, vermutlich über einhundert Meter hoch, bei einem Stammdurchmesser von schätzungsweise zehn Metern.
    Seine Krone verzweigte sich tausendfach, in einer einzigartigen, unverkennbaren Struktur, die dieser Pflanzenart den Namen eingebracht hatte.
    Ein Gigant. Das größte Lebewesen auf dem Mars.
    Der erste Kristallkorallenbaum. Über zweihundert Marsjahre alt, aus dem Grab des ersten toten Waldkindes geboren.
    Die Erzähler nannten ihn den Ältesten, wenn sie in Mythen und Legenden über ihn berichteten.
    Und hier… hatte Uranus sein Ziel erreicht.
    Da waren sie, lagerten am Stamm des Baumes. Drei junge Waldmänner, fast noch Knaben. Die ehrwürdige Dame Vera Akinora, inzwischen eine Schwester. Die kleine Nomi, Liebling aller. Und… Morgenblüte, reglos und starr. Ob lebend oder tot, Uranus konnte es nicht sehen, auch nicht fühlen.
    Er atmete einmal tief durch. Dann drehte er sich um und rannte.
    ***
    Die Tsuyoshis gerieten in helle Aufregung, als Uranus am Versammlungsplatz eintraf, völlig außer Atem, aber mit froher Botschaft.
    Vogler war kurz vor ihm niedergeschlagen angekommen, der Rest noch unterwegs.
    »Ich habe sie gefunden!«, keuchte Uranus. »Die alte Frau und das Mädchen sind wohlauf, aber was mit Morgenblüte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher