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161 - Der Kristallschlüssel

161 - Der Kristallschlüssel

Titel: 161 - Der Kristallschlüssel
Autoren: Susan Schwartz
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selbstverständlich eine gemeinsame Wohnung gegeben hatte. Er hatte nicht zuletzt durch die Medien mitbekommen, dass die Marsianer es liebten, in Gemeinschaften zu wohnen, und sich überhaupt nichts dabei dachten, einen jungen Mann und eine junge Frau, die Teile einer Krisensituation waren, sich selbst zu überlassen.
    In mancherlei Hinsicht war dieses neue Menschenvolk geradezu rührend unbedarft.
    Aber leider lernten sie schnell.
    Um Chandra Tsuyoshi den Job schmackhaft zu machen, war sie in den offiziellen Rang einer diplomatischen Beobachterin und Beraterin erhoben worden, die ihre Entscheidungsbefugnis direkt vom Rat erhielt. Damit war ihr gegenüber niemand weisungsbefugt. Und, was ihr sicherlich Vergnügen bereitete, Matt war von ihr abhängig, wenn er besondere Wünsche hatte, und manchmal ließ sie ihn ziemlich lange im eigenen Saft schmoren.
    Andererseits schien sie sich in ihrer Rolle noch nicht ganz wohl zu fühlen, denn die Veränderungen gingen ihr zu schnell, wie Matt verstreuten Bemerkungen entnehmen konnte. Als konservative Marsianerin wollte sie die Werte der Gesellschaft erhalten; andererseits war sie bodenständig genug, um einzusehen, dass man Entwicklung nicht aufhalten konnte – oder vielmehr, nicht aufhalten sollte.
    Die weißblonde junge Frau hob eine Braue.
    »Natürlich haben Sie dafür Zeit«, erwiderte sie. »Haben Sie schon wieder vergessen, dass wir ein anderes Zeitverständnis haben als Sie? Bei uns geht es nicht pünktlich auf die Minute, unser Leben ist nicht von Hektik und Stress geprägt. Zumindest war das bisher nicht so, aber Sie werden sicherlich auch das durcheinander bringen.«
    »Ist ja gut«, schlug er einen versöhnlichen Tonfall an.
    »Wir sollten den Tag zur Abwechslung nicht gleich wieder mit einem Streit beginnen. Wohl oder übel müssen wir miteinander auskommen, bis wir hinter das Geheimnis der Alten gekommen sind.«
    »Entschuldigung angenommen«, meinte sie und knallte ihm ein Tablett vor die Nase; so ganz verziehen hatte sie ihm wohl doch nicht. »Einen schönen Tagesbeginn wünsche ich.« Dann runzelte sie plötzlich die Stirn und beugte sich über ihn. »Sie haben da was.«
    Sie streckte den Zeigefinger aus und zuckte kurz, als ein Funke knisternd übersprang, kurz bevor sie ihn berührte. Dann nibbelte sie an seiner Wange, gleich neben dem Ohr.
    Ihr Finger war warm und weich, und Matt hatte immer noch ein seltsam elektrisierend­kribbelndes Gefühl an der Wange. Verdutzt ließ er die Fürsorglichkeit über sich ergehen, ohne sich zu rühren.
    Dann war der Moment schon vorbei; sie richtete sich auf und sagte in förmlichem Tonfall: »Wenn Sie mich entschuldigen, ich habe noch ein paar Sachen zu erledigen, bevor wir aufbrechen.« Das war nicht ungewöhnlich; das Frühstück nahmen sie selten gemeinsam ein. Chandra wollte morgens mehr für sich sein, das respektierte er. Aber Matt ließ es sich nicht nehmen, ihren wiegenden Gang zu beobachten, als sie zu ihrem Raum ging.
    Die Marsianer waren hoch gewachsene, sehr schlanke Geschöpfe, die sich überaus anmutig, fast schwebend bewegten, auf eine ganz eigene, der Schwerkraft angepassten Weise. Dagegen nahm Matt sich wie ein plumpes Nashorn aus, das war ihm deutlich bewusst. Die Kluft zwischen ihnen war größer, als er manchmal wahrhaben wollte, obwohl nur fünfhundert Jahre zwischen ihnen lagen. Allerdings auch über zweihundert Millionen Kilometer…
    »Wenn Sie möchten«, sagte er spontan, »können Sie ruhig Schuhe mit Absatz tragen, Chandra. Es stört mich nicht, dass Sie damit noch ein bisschen größer wären als ich.« So viel Selbstbewusstsein sollte ein gestandener Barbarenkerl wie ich schon haben, dachte Matt selbstironisch. Im Gegensatz zum durchschnittlichen Marsianer war Chandra ohnehin geradezu kleinwüchsig, nur drei Zentimeter größer als er selbst.
    Sicherlich hatte ihr das zeitlebens Probleme bereitet was ihre hochfahrende Art und ihren übertriebenen Ehrgeiz erklären mochte.
    Sie wandte sich ihm verwundert zu. »Woher wissen Sie, dass ich normalerweise hochhackige Schuhe trage?«
    Er deutete auf ihre Füße. »Ihr Gang, wie Sie Fuß vor Fuß setzen, und sie belasten zuerst den Fußballen. Kaum merklich, aber meine Frau Liz ist genauso geschritten, vor etwa fünfhundertfünfzehn Jahren.«
    »Sie sind ein recht aufmerksamer Beobachter, und Ihr Gedächtnis zeigt sich einmal mehr als gut ausgeprägt«, stellte sie widerwillig beeindruckt fest. »Aber ich habe mich inzwischen an flache Schuhe in
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