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160 - Die Schrecken von Kabuul

160 - Die Schrecken von Kabuul

Titel: 160 - Die Schrecken von Kabuul
Autoren: Jo Zybell
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wetterfesten Mantel.
    »Da, da… gleich da …« Der Alte wandte sich um und lächelte sie an. Er strahlte etwas Kindliches aus. Seltsamer Kerl. Er kam Aruula vor wie einer, der sein Glück nicht fassen konnte, einer jungen Frau helfen zu können und ihr nahe zu sein. Aber hatte er auch wirklich verstanden, was sie suchte?
    Ein paar hundert Meter entfernt erhob sich ein Kuppeldach aus den Ruinen. Daneben ragte ein schlanker Turm in den grauen Himmel. Gewitterwolken und Regen hatten sich fürs Erste verzogen. Es war trocken, die Luft roch nach Schnee, fahles Dämmerlicht lag über den Ruinen der fremden Stadt.
    Seit den Explosionen am Kratersee hatte Aruula keinen blauen Himmel mehr gesehen; und keine Sonne.
    Seite an Seite zog das ungleiche Paar die Gasse hinunter und dem Kuppelbau entgegen. Manchmal tauchten Gesichter hinter den Fensteröffnungen auf, manchmal zeigten sich Männer in den Türen, abgehärmte, dürre Burschen zumeist und mit demonstrativ geöffneten Mänteln, damit man Säbel oder Messer oder beides in ihren Hüftgurten sehen konnte. Eine unerklärliche Beklemmung ging von diesen schiefen, aus Ruinen gebauten Häusern und Hütten aus, und mit jedem weiteren Schritt hinein ins Zentrum der Ruinenstadt empfand die Frau von den Dreizehn Inseln diese Beklemmung deutlicher.
    Von Zeit zu Zeit feixte ihr Stadtführer sie von der Seite an.
    Ein niedlicher alter Bursche mit vielleicht sechzig oder siebzig Wintern auf dem Buckel. Vielleicht sogar weniger, schwer zu sagen – er wirkte ziemlich geschwächt und ausgezehrt.
    Jedenfalls schien er mächtig stolz darauf zu sein, an der Seite einer schönen Frau durch seine Stadt zu humpeln. Seine Zähne mahlten ständig auf rotbraunen Klumpen herum, die er hin und wieder aus einer Tasche unter seinem Umhang fischte und sich in den Mund steckte.
    Die Gasse wurde breiter, öffnete sich schließlich zu einem weiten Platz. Rauch stieg von fünf oder sechs Feuerstellen auf.
    Unter gut zwei Dutzend aufgespannten Planen feilschten Menschen um Waren. Händler und Käufer waren mit Leder, Pelzen oder bunten Stoffen vermummt.
    Links wühlten kurzbeinige Tiere in einem Schutthaufen. Sie waren schmutzig und grau und erinnerten Aruula an die Wisaaun und Piigs, die man im mittleren und nördlichen Euree kannte; allerdings waren diese hier kleiner und wesentlich dicker. Rechts standen in schwarze Tücher gehüllte Männer unter dem Vordach eines auffallend neuen Hauses. Sie beäugten die fremde Frau und ihr Kamel misstrauisch. Aruula fühlte sich gar nicht gut unter ihrem weißen Pelz.
    Um die Feuerstellen hockten bis zum Kinn vermummte Gestalten, vor den zumeist halb zerfallenen Fassaden rund um den Platz ebenfalls. Auf den zweiten Blick kamen sie Aruula zerlumpt und elend vor. Nur hin und wieder entdeckte sie einzelne Männer und Frauen, deren Kleidung nach bescheidenem Wohlstand aussah und deren Körperhaltung Kraft und Selbstbewusstsein ausstrahlte. In schwarze Mäntel aus Fell oder Leder gehüllt und mit roten oder gelben Tüchern um die Köpfe lehnten sie in Eingängen oder standen breitbeinig vor Hütten und Häusern. Sie trugen Klingen aller Art, auch die Frauen, so weit Aruula das auf die Ferne erkennen konnte.
    Einer Frau, die vielleicht einen halben Speerwurf weit entfernt stand und sie beobachtete, hatte der Wind blonde Haarsträhnen unter dem roten Kopftuch hervor geweht. Zwei Männer in ihrer Nähe trugen gepflegte blonde Bärte. Ihre roten oder gelben Tücher wurden von roten oder gelben Stirnringen auf den Köpfen festgehalten. Auch sie beobachteten Aruula.
    »Da, Götter, Heil, da, da…« Der Krückenmann strahlte glücklich und deutete über den Platz. Der durchmaß gut und gern zwei Speerwürfe. Um den Brunnen in seinem Zentrum herum lungerten ebenfalls Menschen.
    Auf seiner gegenüberliegenden Seite erhob sich das Kuppelgebäude mit dem schlanken weißen Turm. Eine lange, niedrige Vortreppe führte zu einem überdachten Säulengang. Auf den Stufen saßen Dutzende von Menschen.
    »Danke, Alter. Wie heißt du?«
    »Steiner, ja, Steiner, ja, ja…« Er lächelte mit feuchten Augen, griff nach ihrer Rechten und drückte seine spröden Lippen auf ihren Handrücken. »Ja, ja, da, da …«
    Aruula entzog ihm ihre Hand. »Schon gut, schon gut…«
    Sie versuchte zu lächeln, nickte ihm zu und stieg in den Sattel.
    Von hier oben wirkte das Zentrum dieser fremden Siedlung nicht ganz so bedrohlich. Rapushnik trug sie über den Platz und dem Kuppelbau entgegen. Der Alte
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