Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1479 - Die Totenfrau vom Deichhotel

1479 - Die Totenfrau vom Deichhotel

Titel: 1479 - Die Totenfrau vom Deichhotel
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
die Farben ihre Leuchtkraft. Es sah so aus, als würde irgendeine unsichtbare Hand über die einzelnen Bilder hinwegstreichen, um ihnen die Strahlkraft zu nehmen.
    Mit einer langsamen Bewegung erhob sich Sigrid Böhme von ihrem Platz. Unsicher kam sie auf mich zu. Ihr Gesicht hatte ebenfalls an Farbe verloren, und als sie neben mir stehen blieb, da sah ich, dass sie zitterte. Sie hob beide Arme an und drückte die Handflächen gegen ihre Wangen.
    »Was ist das?«
    Wie sollte ich ihr das erklären? Ich wusste es ja selbst nicht. Okay, ich hatte eine bestimmte Ahnung, und mit der musste sich die Künstlerin zufrieden geben.
    »Bitte, es sind die anderen Kräfte, von denen wir sprachen.«
    »Die Seelen der Hexen?«
    »Wahrscheinlich.«
    »Gott, das ist ja schrecklich!«
    Ich dachte daran, dass es Sigrid gelungen war, ihren Astralleib zu produzieren, und fragte deshalb: »Wie geht es Ihnen? Spüren Sie etwas, oder ist alles normal?«
    »Bis jetzt noch.«
    »Das ist gut.«
    »Aber die Bilder! Meine Farben, meine Motive. Verflixt noch mal, sie verschwinden einfach.«
    Damit hatte sie recht. Niemand von uns war mehr in der Lage, das Verschwinden der Farben aufzuhalten. Sie bleichten immer mehr aus und ließen einen ungewöhnlichen Grundton zurück. Man konnte von einem relativ hellen Grau sprechen, das recht dünn auf dem Holz lag und die alte Maserung durchschimmern ließ.
    »Das sind die Texte. Ja, sie sind zu erkennen!« flüsterte Sigrid Böhme. Sie wollte sogar an die Bretter herangehen, was ich aber nicht zuließ. An der Schulter zog ich sie zurück.
    »Die Texte sind bestimmt wichtig.«
    »Das weiß ich. Und deshalb werde ich sie lesen.«
    »Sie müssen doch auch näher heran.«
    Das traf wohl zu, aber ich hatte mein Kreuz bei mir, und das holte ich hervor.
    Die Wärme war da, und wieder sah ich das Licht auf dem Metall sprühen. Nicht so grell wie nach einer Aktivierung, aber es war vorhanden, was mir die nötige Sicherheit vermittelte.
    Ich blieb erst stehen, als ich den Text auf dem zweiten Brett von rechts entziffern konnte. Auf den anderen Brettern war er nicht mehr zu lesen.
    Im letzten Jahr,
    da starb mein Mann,
    wie tat ich ihn bewein,
    dem Teufel gab ich
    dann mein Kind,
    jetzt bin ich ganz allein!
    Ja, das war ein Text der passte. Zudem noch in diesem alten Deutsch geschrieben. Er gab mir zudem einen Hinweis darauf, dass diese Frau, der das Brett gehörte, mit dem Teufel oder der Hölle gemeinsame Sache gemacht hatte.
    Ich blieb davon nicht unbeeindruckt und erlebte den kalten Luftzug auf meinem Rücken.
    Und die Bilder bleichten noch mehr aus. Das Grau blieb zwar, hellte aber auf, und wir als Beobachter konnten den Eindruck haben, dass es sich in ein unschuldiges Weiß verwandeln würde.
    Ob es stimmte, mussten wir abwarten. Lange würde es nicht mehr dauern. Dafür passierte etwas anderes, mit dem wir beide nicht rechnen konnten. Das Verschwinden der Farbe hatte jetzt seinen endgültigen Punkt erreicht. Die normale Farbe des alten Holzes war allerdings nicht zum Vorschein gekommen, und doch ging dieser Vorgang weiter, und zwar sehr entschieden, denn plötzlich waren innerhalb des Holzes Bewegungen zu erkennen. Als würde dort etwas arbeiten, was sich in seinem Innern befand und unbedingt raus wollte.
    Keine Buchstaben. Es war einfach das Phänomen, das sich bisher in diesen verdammten Totenbrettern versteckt gehalten hatte.
    Körper?
    Gesichter?
    Feinstoffliche Wesen, die nicht in diese Welt gehörten, sondern in eine ganz andere, die jenseits der unserigen lag. Eine Welt so fern und nicht zu begreifen, aber trotzdem so verdammt nahe, wie in diesem Fall.
    Es waren die Seelen der fünf Hexen, und sie meldeten sich auf eine Weise, die selbst mich erschreckte.
    »Wir holen uns unsere Totenruhe. Wir holen sie uns von den Lebenden…«
    Es waren keine normalen Stimmen, die sich da zu einem Chor fanden, und trotzdem war die Botschaft für uns verständlich. Mir war klar, dass ich etwas unternehmen musste, aber ich stand noch sehr stark unter dem Bann des Geschehens.
    Geister, feinstoffliches Gemenge, das sich bewegte, seine Form verlor und sie wieder zurückerhielt, sodass sie im Aussehen den Menschen glichen – aber in ihren weichen Formen von den Bildern –, die von den Totenbrettern verschwunden waren.
    Neben mir schrie Sigrid Böhme in genau dem Augenblick auf, als die Geister ihren Platz verließen. Auch ich hörte dieses Geräusch, als wäre ein Windstoß an uns vorbeigefahren und das sehr dicht an
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher