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1267 - Das chinesische Grauen

1267 - Das chinesische Grauen

Titel: 1267 - Das chinesische Grauen
Autoren: Jason Dark
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Frau zu retten.
    Das gab ihr Mut. Das putschte sie wieder auf. Sie würde nicht aufgeben, und sie wollte dafür Sorge tragen, dass auch die Unbekannte ihre Fesseln verlor.
    Beide hockten auf dem Boden. Die Frau hielt sich nur, weil Shao sie stützte. Von der Seite her wurde Shao angeschaut, und sie hörte die sehr leise Stimme.
    »Danke.«
    Shao musste lachen und husten zugleich. »Bedanke dich später. Noch ist es nicht vorbei.«
    »Li will nicht sterben.«
    »Du heißt Li?«, flüsterte Shao rau und freute sich, dass sie überhaupt sprechen konnte.
    »Ja, so werde ich genannt.«
    »Ich bin Shao.«
    »Danke, Shao.«
    Sie winkte ab. »Unsinn. Wir müssen erst mal dafür sorgen, dass du deine Fesseln loswirst. Du hast nicht zufällig eine Schere oder ein Taschenmesser bei dir?«
    »Nein, leider nicht.«
    »Das hatte ich mir schon gedacht. Dann muss ich eines besorgen.« Shao erhob sich.
    »Wo willst du hin?«
    »Keine Sorge, ich lasse dich nicht allein. Nur für einen Moment. Warte auf mich.«
    »Ich kann ja nicht weg.«
    »War auch nur ein Scherz.«
    Zum ersten Mal gelang es Shao, sich in der Umgebung umzuschauen, die ihr völlig fremd war. Sie stellte allerdings fest, dass sie auf einem Hinterhof gelandet war oder zumindest an einer. Stelle, zu der keine Straße hinführte. Wer sie anfuhr, musste sich durch eine Einfahrt quälen, die aussah wie eine dunkle Brücke.
    Obwohl Shao schon oft genug in dem Geschäft ihre Lebensmittel eingekauft hatte, hatte sie den hinteren Teil noch nie in ihrem Leben gesehen. Es gab die grauen Hausfronten, aber es gab auch die eigens angebrachten Anbauten, in denen sich alles mögliche befand. Da wurde gekocht, da wurde genäht, da waren Handwerker damit beschäftigt, irgendwelchen Touristenkitsch herzustellen, was Shao alles sehen konnte, denn manche Anbauten waren mit recht großen Fenster ausstaffiert worden.
    Sie blieb vor einem Fenster stehen. Es war kein normales. Man hatte es in zahlreiche Vierecke unterteilt, und zwei dieser kleinen Fenster innerhalb des Fensters standen schräg.
    Ein alter Mann mit Ziegenbart, der den Chinesen erfunden haben konnte, hatte sie bemerkt. Er drehte sich um und schob dabei eine Puppe zur Seite, an der er gearbeitet hatte.
    »Bitte!«, rief Shao ihm durch das offene Fenster zu, »können Sie mir eine Schere leihen?«
    »Nur leihen?«
    »Ja, Sie bekommen Sie so bald wie möglich zurück.«
    »Gut.« Er konnte zwischen mehreren Scheren wählen, die er für seine Arbeit benötigte. Er fasste nicht nach der großen Schere, mit der er Stoff schnitt, sondern griff zu einer kleineren, stand dann auf und trat ans Fenster. Er reichte Shao das Werkzeug noch nicht sofort. Er behielt es in der angehobenen Hand und schaute sie sehr ernst an.
    »Ich weiß deinen Mut zu schätzen, mein Kind, aber manchmal sollte man vorsichtiger sein.«
    »Wie meinst du das?«
    »Es gibt einfach Kräfte, die muss man walten lassen«, erklärte er flüsternd. »Da ist man als einzelner Mensch zu schwach.«
    »Was wissen Sie?«
    Das sehr faltige Gesicht mit den schmalen Augen und dem kaum zu erkennenden Mund verzog sich zu einem Lächeln, wobei sich die Falten noch mehr vertieften. »Ich habe schon genug gesagt. Kämpfe nicht gegen den Löwen, wenn er hungrig ist.« Er streckte die Schere durch den Fensterspalt.
    »Bitte sehr, behalte sie als Andenken.«
    »Danke.« Shao war überrascht. Sie steckte die Schere ein und trat zurück. Sie merkte auch die eigene Verwirrtheit durch die Worte des Mannes. Es konnte durchaus sein, dass er mehr wusste als er zugeben konnte oder wollte, aber darum kümmerte sich Shao jetzt nicht, weil andere Dinge wichtiger waren. Sie musste es endlich schaffen, die junge Frau von ihren Fesseln zu befreien.
    Shao ging zu ihr und fand sie an der gleichen Stelle, an der sie zurückgelassen worden war. Die Wand war noch immer Stütze genug, und wieder lächelte Shao, als sie die Schere hochhielt. »Jetzt werden wir gleich wieder die Normalität geschaffen haben, und dann sehen die Dinge ganz anders aus.«
    »Du bist so gut zu mir.«
    »Ach, hör auf.«
    Shao hatte sich hingekniet und beschäftigte sich zunächst mit den Handfesseln. Die Knoten schnitt sie nicht auf. Es gelang ihr, ein Scherenblatt unter das straffe Band zu schieben. Sie wollte Li nicht verletzen und ging deshalb vorsichtig zu Werke.
    Nach dem Gespräch mit dem Alten war ihr klar, dass man sie beobachtete, auch wenn sie nichts sah.
    Der Mann schließlich hatte sie auch gesehen und seine richtigen
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