Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
120 - Sterben in Berlin

120 - Sterben in Berlin

Titel: 120 - Sterben in Berlin
Autoren: Jo Zybell
Vom Netzwerk:
Neuigkeiten!«
    »Ich komme!« Naura schlüpfte in die Männerkleider, Arnau rannte die Treppe hinunter und riss die Tür auf. Die Vortreppe, der Garten, die breite Straße – alles war voller Menschen. Zu spät sah er Wulfgang ausholen: Der Keulenhieb traf seinen Schädel mit voller Wucht und schleuderte ihn zurück auf die Treppe. Der Schlag war selbst für die daa’murische Konstitution zu kraftvoll: Bewusstlos schlug Arnau auf den Stufen auf.
    ***
    Anniemouse kann nicht schlafen. Immer muss sie an Commander Dad denken. Sie hört, wie Miouu sich im Nebenraum auf dem Bett hin und her wälzt. Sie hört Jennymoms tiefe Atemzüge neben sich. Draußen auf den Straßen hört sie Stimmen.
    Sie steht auf – leise, leise. Sie schleicht aus dem Schlafraum – leise, leise. Sie schließt die Tür hinter sich – leise, leise. Im Jennymoms Arbeitsraum liegt Canada vor der Tür zum Gang.
    Eine Öllampe brennt auf dem Tisch. Anniemouse schlüpft in ihr Kleid und ihre Sandalen. Canada erhebt sich und gähnt.
    Anniemouse legt den Zeigefinger auf die Lippen. »Psst«, macht sie.
    Sie geht hinaus auf den Gang, Canada trottet hinterher.
    Durch ein unverglastes Fenster klettert sie in den Garten hinaus. Canada springt hinterher. Sie kennt alle Lücken im Zaun; bald steht sie auf der breiten Straße. Und Canada steht neben ihr.
    »Gleich kommt mein Dad, weißt du?«
    Canada macht Wuff!, und Anniemouse klettert auf seinen Rücken.
    Auf ihrem Hund reitet sie Richtung Osttor. Überall sind Menschen unterwegs, überall hört Anniemouse Stimmen.
    Niemand beachtet sie. Die Leute sind zu aufgeregt, um sie zu beachten. Fürchten sie sich vor irgendwas?
    Auf dem Platz, von dem aus die Straßen zum Süd- und zum Nordtor führen, drängen sich sehr viele Menschen.
    »Warte«, sagt Anniemouse, und Canada bleibt stehen.
    Soldaten schleppen einen Mann zu einem Haufen aus Holz und Reisig. Ein Pfahl ragt aus dem Haufen. Im Fackelschein erkennt Anniemouse den Mann. »Was macht ihr mit Arnau?!«, ruft sie.
    Die Leute, die in ihrer Nähe stehen, drehen sich um und staunen sie an. Zwei von ihnen sind Soldaten. Anniemouse hat sie noch nie zuvor in Beelinn gesehen. »Und was, bei Orguudoo, treibt eine kleine Kröte wie du hier mitten in der Nacht?«, schimpft einer von ihnen.
    »Bin keine kleine Kröte.«
    »Du gehörst ins Bett!« Der Soldat kommt näher, will Anniemouse hochnehmen. Canada schnappt nach ihm.
    »Scheißvieh!« Böse knurrt Canada ihn an…
    ***
    Als Est’sil’aunaara zu sich kam – viel schneller als ein Mensch, aber doch zu spät –, fand sie sich an einen starren Gegenstand gefesselt und halb in einem Haufen aus Reisig versunken, den man über einem Holzstoß aufgeschichtet hatte.
    Die Erfahrung, das Bewusstsein zu verlieren, war neu für sie.
    Oder fast neu: Als Halbwüchsige war sie einmal beim zu forschen Auftauchen mit dem Randwulst eines Kontrograv-Schwebers kollidiert. Wie viele Hunderttausende von Daa’mur-Jahren war das her? All die Äonen in den kristallinen Speichereinheiten hatte sie diese Möglichkeit vergessen lassen.
    Wie hätte man auch in ihnen das Bewusstsein verlieren sollen?
    Neugierig und mit wachem Geist registrierte sie die zu neuem Leben erwachenden Reaktionen ihres Trägerorganismus. Zwei oder drei Herzschläge dauerte es, bis sie auch die Menge um sich herum registrierte.
    Erschrocken sah sie an sich herab. Nein, keine Metamorphosenumkehr hatte stattgefunden. Niemand konnte sie durchschaut haben. Ihr Körper sah aus, wie Arnaus Körper auszusehen hatte. Auch das registrierte sie sorgfältig: Ein Trägerorganismus konnte potentiell das Bewusstsein verlieren, machte seine Metamorphose in der Zeit der Bewusstlosigkeit aber nicht rückgängig. Jedenfalls in der kurzen Zeit nicht, die sie bewusstlos gewesen sein musste.
    Zwei Fackelträger traten an den Holzhaufen und hielten die Flammen in den Reisig. Der brannte sofort.
    Sollte das Glück sie wirklich so rasch wieder verlassen? Sie sah sich um, suchte ein bekanntes Gesicht in der Menge. Sie entdeckte einen Pottsdamer Hauptmann, den sie vor Wochen infiziert hatte. Sie trat mit seinem Geist in Kontakt.
    Sag ihnen, dass sie einen Fehler machen. Befehle ihnen, das Feuer zu löschen…
    Der Mann sah sich verwirrt um, kam zum Feuer, stotterte Befehle. Sie drängten ihn zurück, ein Beelinner Gardist schlug ihn nieder.
    Die Hitze machte ihr im Prinzip nicht viel aus, aber sie wusste nicht, wann die Temperaturen jenen Grad überschreiten würden, jenseits dessen die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher