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1195 - Der Engelskerker

1195 - Der Engelskerker

Titel: 1195 - Der Engelskerker
Autoren: Jason Dark
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Michaela.«
    Sie gingen als Erste. Beide Frauen sahen aus, als wären sie die besten Freundinnen. Dagmar fühlte sich für sie verantwortlich und stützte sie ab.
    Harry hielt sich an meiner Seite. »Man muss wohl sehr große Phantasie haben, um das alles verstehen zu können, was wir erleben. Ich habe da so meine Schwierigkeiten mit den anderen Welten und deren Gesetzen.«
    »Ich auch, alter Freund.«
    »Das beruhigt mich dann irgendwie.«
    Da die beiden Frauen vor uns hergingen, hatten sie auch als erste das Ende der Treppe erreicht. Ich sah, wie sie nach links abbogen, aber plötzlich stehen blieben. Sehr abrupt, nicht normal, als wären sie gegen ein Hindernis gelaufen.
    Harry und ich befanden uns noch auf der Treppe, als wir beide die weibliche und ein wenig kindlich klingende Stimme hörten.
    »Hallo, Michaela, kommst du mit mir…?«
    Mich traf fast der Schlag, denn die Stimme kannte ich verdammt gut. Sie gehörte Clarissa Mignon…
    ***
    Ich tat zunächst nichts und blieb stehen. Dabei schüttelte ich kaum wahrnehmbar den Kopf. Über das Geländer hinweg suchte ich den Blick nach unten, aber dort erkannte ich nichts, weil sich die anderen im toten Winkel befanden.
    Harry Stahl war mein Verhalten aufgefallen. »Was hast du denn so plötzlich, John?«
    »Das wirst du gleich sehen.« Nach dieser Antwort war ich nicht mehr zu halten und hatte Sekunden später schon den Ort erreicht, an dem ich alles sehen konnte.
    Ja, es stimmte. Es gab nicht den geringsten Zweifel. Clarissa hatte es geschafft, dieses Lokal zu betreten. Sie wandte der Tür den Rücken zu, schaute dabei unverwandt Michaela an und streckte ihr den rechten Arm entgegen.
    Wir waren für sie uninteressant, es ging ihr nur um die junge Frau. »Wolltest du nicht immer bei den Engeln sein, Michaela? Jetzt hast du die Chance, jetzt ist es so weit. Ich bin gekommen, um dich zu holen. Bitte.«
    Michaela zögerte noch, was ich verstehen konnte. Sicherlich war sie hin- und hergerissen, denn sie erlebte eine Überraschung nach der anderen.
    Dagmar Hansen hatte bemerkt, dass auch wir gekommen waren. Sie drehte kurz den Kopf. »Was soll das?«, fragte sie mit leiser Stimme. »Wer ist dieses Mädchen?«
    »Clarissa Mignon«, erklärte ich.
    »Was? Sie?«
    Ich nickte nur.
    »Und jetzt will sie Michaela holen?«
    »So sieht es aus«, erwiderte ich. Dabei trat ich näher an die kleine Gruppe heran. »Es war von Anfang an ihre Absicht. Sie hat die Hilferufe gehört, aber sie fühlte sich selbst nicht stark genug, um Michaela zu befreien. Das sollte ich für sie besorgen, und mit eurer Hilfe habe ich es auch geschafft. Jetzt ist sie erschienen, um die Früchte des Plans zu ernten.«
    Dagmar hob die Schultern. »Und? Willst du sie denn gehen lassen?«
    »Da müssen wir Michaela fragen.«
    Das tat die Psychonautin sofort. Michaela hörte ihr zu, und auf ihren Lippen erschien ein Lächeln.
    Dagmar war klar, was sie wirklich wollte.
    »Bitte«, sagte sie leise und wandte sich an mich. »Was ist denn deine Meinung dazu?«
    »Ich denke, dass wir sie gehen lassen sollten. Ich möchte ihrem Glück oder ihrer Zukunft nicht im Wege stehen. Hört sich zwar übertrieben an, trifft aber den Kern des Problems.«
    »Ich will zu den Engeln!«, flüsterte Michaela.
    »Dann geh!«, sagte ich.
    Sie lächelte uns zum Abschied zu. Und es lag jede Menge Dankbarkeit in diesem Lächeln. »Ich werde euch nie vergessen, meine Freunde, und ich werde auch versuchen, euch zu beschützen, wo immer es möglich ist. Aber jetzt muss ich gehen, denn ich habe schon zu lange auf diesen Augenblick gewartet. Lebt wohl…«
    Niemand von uns hielt sie auf. Clarissa öffnete ihr die Tür. Auch sie blickte uns noch einmal an, als sie die Tür für ihre neue Freundin aufhielt. Auf Clarissas Gesicht sah ich den Ausdruck der Zufriedenheit, und ich wünschte mir für Michaela, dass auch sie diesen Zustand erreichte.
    Beide verließen den Engelskerker.
    Wir hörten noch für wenige Sekunden die knirschenden Schritte im Schnee. Dann verklangen auch sie.
    Wir liefen den beiden nach.
    Sie waren nicht mehr zu sehen.
    »Und wo sind sie jetzt?« fragte Harry leise.
    Ich wies zum dunklen, mit funkelnden Sternen übersäten Himmel. »Irgendwo dort draußen und auf jeden Fall in Sicherheit…«
    ENDE
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