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1195 - Der Engelskerker

1195 - Der Engelskerker

Titel: 1195 - Der Engelskerker
Autoren: Jason Dark
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Einer, der zu seinen Lebzeiten der Hölle sehr nahe stand. Sie hat ihn sich auch geholt, ebenso wie Michaela geholt wurde. Nur hatte sie ein anderes Leben hinter sich. Sie hatte sich stets von den Engeln angezogen gefühlt, nicht so dieser Henkersknecht. Seine Seele war schwarz, er hat sie dem Teufel verschrieben, und der Teufel oder welcher mächtige Dämon auch immer hat ihn dann in sein Reich geholt und ihn auf seine Art und Weise verwandelt. Er wurde zu einem Monstrum oder zu dem, was er in seinem Innern schon immer gewesen ist. Michaela blieb, was sie war, weil sie schon immer auf die Engel vertraute. Er nicht. Jeder bekam das, was er verdiente. Und der Teufel hat sich an die Regeln gehalten. Er ist den Vorstellungen der Menschen im späten Mittelalter entgegengekommen und hat ihn deshalb in eine Kreatur verwandelt, wie man sich die Dämonen vorstellte.«
    Ja, ich begriff. Ich hatte mir zudem schon etwas Ähnliches gedacht, und ich war froh, dass es Dagmar geschafft hatte, ihn mit dem Psychonauten-Blick zu bannen.
    Die menschliche Kreatur bewegte sich weiter. Sie hatte dünne, behaarte Beine. Sie drehte sich dabei noch in der Hocke sitzend auf der Stelle. Sie schrie quietschend auf. Sie riss die Arme hoch und griff in die schütteren Haare hinein. Dann zog sie die Hände an ihrem Gesicht nach unten.
    Langsam und mit leicht gekrümmten Fingern. Sie gab zugleich Druck, und ich saugte scharf den Atem ein, als ich sah, was mit dem Menschen vor uns passierte.
    Er zerstörte sich selbst!
    Er riss sich selbst die Haut ab. Er brachte sich Wunden bei. Er keuchte und jammerte, und wir alle sahen, dass sich seine Haut dabei veränderte.
    Sie nahm jetzt endlich den Zustand an, den sie schon seit langer, langer Zeit hätte haben müssen. Es war nur noch eine dünne Pelle, unter der das Fleisch, die Sehnen und die Muskeln längst in den Zustand der Verwesung übergegangen waren.
    So sah ein Toter aus.
    Und er kippte zur Seite. An seinen Fingern klebte noch der Rest der Haut. Was von ihm zurückblieb, war eine feuchte und schmierige Masse, als hätte man einen Toten aus dem Grab geholt, der seit gut einem Jahr dort gelegen hatte.
    Ein fürchterlicher Gestank wehte uns entgegen. Ich drehte den Kopf zur Seite. Auch Harry konnte nicht mehr hinschauen. Er hatte ein Taschentuch hervorgeholt und presste es gegen den Mund.
    Und plötzlich war das Feuer da.
    Wie aus dem Nichts gekommen, tanzten plötzlich die kleinen Flammen über den schmierigen Rest hinweg. Es war das Feuer ohne Geruch, und damit hatte die Hölle ihren letzten Trumpf ausgespielt, denn sie benötigte ihren Helfer nicht mehr.
    Wir wurden Zeuge, wie der Rest sich zu einem Klumpen zusammenzog, austrocknete und nur noch ein Rest dunkler Asche zurückblieb, die man leicht wegfegen konnte.
    Ich drehte mich zu der Rückwand der Nische hin um.
    Sie war wieder völlig normal geworden. So dicht, dass sie keinen Blick in die andere Welt mehr zuließ.
    »Ich glaube, John, wir haben es geschafft«, sagte Dagmar mit einer Stimme, in der die Erleichterung mitschwang. »Wir Menschen haben der Hölle eine Niederlage zugefügt.«
    Ich konnte nicht widersprechen. In mir breitete sich ebenfalls die Erleichterung aus, und als ich Dagmar anschaute, da sah ich, dass ihr drittes Auge von der Stirn verschwunden war.
    Ja, die Normalität hatte uns zurück. Der Engelskerker war geschlossen.
    Wir konnten uns wohl fühlen. Wir kamen auch mit der Welt zurecht, aber was war mit Michaela?
    Sie hatte bisher kein Wort, gesagt und sich auch nicht von der Stelle bewegt. Barfuß und in ihrem zerfetzten Kleid stand sie auf dem Boden, ohne zu frieren. Sie schaute nach vorn, doch ich war überzeugt, dass sie so gut wie nichts sah, weil sie einfach in ihre eigenen Gedanken versunken war.
    »Ich finde, wir sollten uns jetzt auf den Weg machen«, schlug Dagmar vor.
    »Und wohin?«, fragte ich.
    »Zunächst ins Hotel. Es liegt direkt am Marktplatz und ist nicht weit weg.«
    Harry sagte auch etwas. »Ja, John, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Wir geben auf sie Acht. Dagmar wird behutsam versuchen, sie in die veränderte Welt einzuführen. Sie ist ein Phänomen, und ich denke, dass sie uns vieles aus ihrer Zeit berichten kann.«
    Ich stimmte zu. »Dann lasst uns erst mal gehen. Sie braucht auch andere Kleidung. So kann sie nicht nach draußen und…«
    »Ich gebe ihr meine Jacke«, sagte Dagmar. »Wir können sie auch tragen, dann braucht sie nicht über den eiskalten Boden zu gehen. Komm jetzt,
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