Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1195 - Der Engelskerker

1195 - Der Engelskerker

Titel: 1195 - Der Engelskerker
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
Ich kenne ihn anders. Ein feuchtes, kaltes Verlies mit schmutzigem Stroh auf dem Boden und ohne Fenster. Mit dem Gestank der Sterbenden. Verwesung und menschliche Ausdünstungen. Angefaulte Leichen, die viel zu spät abgeholt wurden. An diesem Ort konnte man nur sterben…«
    »Denk daran, dass viel, sehr viel Zeit vergangen ist«, flüsterte ihr Dagmar zu.
    »Kein Kerker mehr?«
    »Nein.«
    Michaela nickte. »Ich sehe Tische und auch Sitzplätze. Ist es eine Schänke geworden?«
    »So ähnlich«, sagte Dagmar. »Heute haben wir dafür nur einen anderen Namen. Wir nennen es Lokal, Gasthof oder Restaurant und…«
    Ein leiser Schrei unterbrach sie. Er war von keinem aus der Nähe abgegeben worden. Als wir die Köpfe zur Treppe hin drehten, sahen wir wieder das Gesicht des Robert Schwarz. Er war nicht gegangen und stattdessen so leise wie möglich die Stufen wieder hochgeschlichen. Wahrscheinlich stand er schon länger dort und hatte einiges von dem mitbekommen, was wir besprochen hatten.
    Er konnte seine Blicke nicht von der halbnackten jungen Frau lösen und flüsterte, begleitet von scharfen Atemzügen: »Wer ist das denn? Wo kommt sie her?«
    Harry war mit zwei Schritten bei ihm. Er stand so, dass er Robert die Sicht auf unseren Schützling nahm. »Gehen Sie wieder. Verlassen Sie das Haus!«
    »Nein, nicht mehr. Nicht jetzt. Ich will Bescheid wissen. Ist sie es gewesen, die meinen Vater fast getötet hat?«
    »Nein, das war sie nicht.«
    »Dann muss ich…«
    »Sie müssen gehen, Robert!«
    Es lag etwas in der Stimme meines Freundes Harry, dem Robert nicht widerstehen konnte. Er duckte sich, als hätte man ihn geschlagen, und dann drehte er sich auf der Stufe stehend um und polterte die Holztreppe hinab. Wir hörten ihn noch mit sich selbst sprechen. Dabei fiel auch das Wort »Polizei«.
    Wir konnten ihn nicht daran hindern, die Kollegen zu alarmieren. Wir hatten jetzt andere Sorgen.
    Jemand musste sich um Michaela kümmern. Wahrscheinlich würde das Dagmar Hansen in die Hand nehmen, und sie trat sehr nahe an die Befreite heran.
    »Ich heiße Dagmar, und ich möchte, dass du dich mir anvertraust, Michaela. Hast du gehört?«
    Sie erntete einen skeptischen Blick. »Bist du denn ein Engel, Dagmar?«
    »Nein, das bin ich nicht.«
    »Dann möchte ich das nicht. Ich… ich… kann keinem Menschen mehr vertrauen.«
    »Und trotzdem bist du mit John gegangen?«
    Eine sehr gute Frage, und Michaela drehte sich so herum, dass sie mich anschauen konnte. Sie dachte über ihre Antwort nach. »Ja, ich bin mit ihm gegangen.«
    »Warum?«
    »Man hat es mir gesagt.«
    »Wer?«
    »Vielleicht die Engel. Da war eine Stimme in meinem Kopf. Sie sagte, dass ich mich nicht zu fürchten brauchte, und das habe ich auch gespürt. Er muss etwas an sich haben, was mit den Engeln eine Gemeinsamkeit bildet.«
    Ich wunderte mich über ihre Sprache. Sie redete so, dass wir sie verstehen konnten und nicht in diesem alten Deutsch, das doch anders geschrieben und auch ausgesprochen wurde. Wahrscheinlich hatte sie von einer bestimmten Seite Hilfe erhalten, und ich konnte mir auch vorstellen, was sie meinte, als sie von einer Gemeinsamkeit gesprochen hatte.
    Ja, es gab eine Verbindung zwischen mir und den Engeln. Nicht äußerlich, denn ich hatte so gar nichts mit einem Engel gemein. Aber ich trug das Kreuz bei mir, und auf ihm hatten vier Erzengel ihre Zeichen hinterlassen.
    Es war jetzt an der Zeit, dass sie es sah. So konnten wir die Maßnahmen des Vertrauens aufbauen.
    Ich griff in meine Tasche. Michaela schien zu spüren, dass etwas Besonderes bevorstand, denn sie ließ meinen Arm nicht aus den Augen.
    Die Hand verschwand für einen etwas längeren Augenblick in der Tasche, und als ich sie wieder hervorzog, öffnete sich die Faust sofort, und sie sah das Kreuz auf meiner offenen Handfläche liegen.
    »Ist es das?«, fragte ich.
    Michaela riss den Mund auf. Die Augen öffneten sich ebenfalls weit. Sie war nicht in der Lage, etwas zu sagen und zitterte plötzlich am gesamten Körper. Vielleicht hatte sie sprechen wollen, aber aus dem offenen Mund flossen keine Worte, sondern nur ein erstauntes Stöhnen.
    Ich ließ sie schauen. Zeit verstrich. Wir taten nichts und überließen Michaela auch weiterhin das Feld.
    Meine Blicke wechselten zwischen dem Kreuz und ihr hin und her. Auch jetzt unterlag sie noch immer dieser einzigartigen Faszination, und ihr Körper krümmte sich leicht, während sich ein Strahlen auf dem Gesicht ausbreitete.
    »Spürst du
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher