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1 - Schatten im Wasser

Titel: 1 - Schatten im Wasser
Autoren: Stefanie Gercke
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mein Vater zurückgekehrt ist. Ich muss Sie bitten, sich bis dahin in Geduld zu fassen.
    Falls diese Verzögerung sich in extra Tagen niederschlagen wird, werden Sie auch extra Charter erhalten. Sie werden nichts verlieren, das wissen Sie.« Ihr kühler Ton zog eine eindeutige Grenze. Mit diesem Menschen die Sorge um ihren Vater zu teilen war so unvorstellbar für sie, als würde sie ihn in ihr Haus einladen.
    Vor sechs Tagen war ihr Vater in Begleitung von Cesar, dem schweigsamen, braunen Mann vom Niger, den Kongo hinaufge-16
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    paddelt. Nach drei Tagen wollte er zurück sein; er hatte ihr versprochen, dass sie ihn danach zu einer der zahlreichen kleinen Inseln begleiten dürfe, um Sumpfvögel zu zeichnen. Und was er versprach, das wusste sie, hielt er. Immer. Papas Versprechen war einer der unverrückbaren Ecksteine ihres bisherigen Lebens gewesen. Dass er dieses Versprechen gebrochen hatte, konnte nur Schlimmes bedeuten. »Ich bin sicher, wir haben uns verstanden.« Nachträglich versuchte sie, ihre harschen Worte mit einem winzigen Lächeln zu mildern.
    Der Kapitän deutete es prompt falsch und tobte inwendig. Für die hochnäsige Baronesse le Roux war er doch nur ein Fliegendreck unter ihren Schuhen. Aber er suchte sich zu beherrschen. »Ihr Herr Vater hat das Schiff nur für eine Woche gechartert, und die ist vorbei. Weiter südlich wartet Ladung auf mich. Wenn wir zu spät einlaufen, werde ich viel Geld verlieren, und mein Ruf wird ruiniert sein.« Seine Worte waren höflich, seine Haltung allerdings zeigte das Gegenteil. Er stand dicht vor ihr, die Hände drohend in die Seiten seines aufgedunsenen Bauches gestemmt, überragte er sie um Kopfeslänge. Mit jedem Atemstoß blies er ihr Rumdunst ins Gesicht. Ein Matrose wäre vor ihm in die Knie gegangen.
    Catherine wich nicht zurück, nicht um ein Jota, aber das Lächeln verschwand, als wäre es ausgelöscht. »Ich erwarte meinen Vater noch heute zurück. Da Sie wohl kaum ohne ihn segeln können, werden Sie also warten, und zwar so lange, wie es dauert!« Schwarzes Haar flog, der hellblaue Rock wirbelte, Waden blitzten. Sie knallte die Luke zu und lief hinunter zur Kabine von Wilma, ihrer entfernten Kusine, die ihr Vater als ihre Gouvernante engagiert hatte. Mit irgendjemandem musste sie reden, und wenn es eben nur mit Wilma war. Dieser ungezogene Mensch wurde wirklich immer unerträglicher.
    »Großes Maul und nichts dahinter.«
    Sie blieb abrupt stehen. Die heisere Stimme in ihrem Kopf kam aus einer anderen Welt. Grandpere Jean! Sie presste die Lider zusammen, spürte die plötzliche Nässe an den Wimpern. Mein Gott, wie sehr sie ihn vermisste.
    Seit zwei Jahren war er tot,
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    und mit ihm hatte sie ihren einzigen wirklichen Freund, ihren Ratgeber in allen Lebenslagen verloren. Grandpere mit den schwarzen Koboldaugen, der stets für sie da war, sie mit seinen Spaßen zum Lachen brachte und ihr das Leben erklärte, wenn es ihr unverständlich war. Zum Schluss, als seine Zeit auslief, hatte er sich nicht mehr aus seinem großen Lehnstuhl gerührt, ein eingetrocknetes Männchen mit Pergamenthaut und Skeletthänden, aber seine Augen hatten vor Lebensfreude gefunkelt bis zu dem Moment, als er sie für immer schloss. Ihre Wange in seine Hand geschmiegt, hatte sie vor ihm gekniet, und als seine Lider sich senkten, sein Griff erschlaffte und sie allein zurückblieb, bekam ihr Herz einen Sprung, der nie wieder heilte.
    »Ich melde mich bei dir«, waren seine letzten Worte zu ihr gewesen, und seitdem hörte sie oft seine scharfzüngigen Kommentare, so als stünde er neben ihr. Manchmal glaubte sie wirklich, dass er gleich um die Ecke kommen würde. Mit seinen eigenartig hüpfenden Schritten, das schüttere Haar altmodisch mit einer Samtschleife im Nacken zusammengefasst, wie immer spöttisch in sich hineinlachend, als wüsste er mehr von der Welt als seine Mitmenschen.
    »Du hast nicht nur die Schönheit deiner Großmutter, du bist auch, wie sie war, leicht wie der Wind«, sagte er stets, »nicht wie diese schwerfälligen Menschen hier aus dem Norden. Du gehörst in ein Sonnenland.«
    Er hatte sich in diesem kalten Land - wie er es nannte, und er meinte nicht nur das Klima - nie wirklich eingelebt. Obwohl er nach 1789 wieder nach Frankreich hätte zurückkehren können, tat er es nicht, auch nicht nach dem Tod von Grandmere, denn als Catherine erst fünf Jahre alt war, starb ihre Mutter. Ihr Vater war auf Forschungsreise gewesen, als es passierte. Grandpere fing sie
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