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1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe

1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe

Titel: 1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe
Autoren: Petra van Laak
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Stottern kam, bekam einen ernsten Blick und einen Eintrag auf ihrem Notizblock. Inhaltlich wurde nichts vermittelt, das Ganze schien nur dazu zu dienen, Druck auszuüben und herauszufinden, wer dem standhalten konnte.
    Alle paar Minuten wurde betont, dass nur zehn von uns dies überleben würden. Diesen zehn aber, denen winkte ein goldenes Leben im Callcenter. Denn an jeder verkauften Mitgliedschaft sollten wir verdienen, und hätten wir erst einmal die ersten fünf zusammen, bekämen wir einen Bonus, und nach zehn einen Extra-Bonus und so weiter.
    Während ihrer Agitation wurden wir einzeln aus der Gruppe herausgeholt und sollten uns nochmals einer Prüfung unterziehen. Einer der jungen Männer mit Pokerface holte uns der Reihe nach ab, während Madame ihren Unterricht weiter abhielt. Die meisten kamen nicht mehr wieder. Unsere Gruppe schrumpfte schnell auf fünfzehn Leute.
    »Sie da!« Keine Anrede, kein Name, keine Nummer. Ich ging mit. In einem Nebenzimmer sollte ich den Telefonhörer abnehmen und einem mir unbekannten Kunden ein Scheuermittel für die Bodenreinigung seiner Firmenräume verkaufen. Verkaufsargumente waren nicht vorgegeben, ich hatte einfach nur das Produkt an den Mann zu bringen. Man ließ mich allein im Zimmer, ich solle nur gleich den Hörer abnehmen und losreden. Der Hörer war fettig und verschwitzt von den Händen meiner Vorgänger, die Sprechmuschel von einem gräulichen Film überzogen. Am Ende der Leitung meldete sich eine unwirsche Stimme, es war – da bin ich mir sicher – dieselbe Stimme, die zum Erstkontakt gehörte, als ich mich auf die Anzeige gemeldet hatte.
    »Ja?!« Kein Name, kein Gruß, nichts. Seit ich das Interconti betreten hatte, schienen alle ihre gute Kinderstube vergessen zu haben. Vielleicht hatten sie nie eine gehabt.
    »Guten Tag, mein Name ist Petra v…«
    »Was wollen Sie?!«
    »Wie schön, dass ich Sie gleich pers…«
    »Können Sie vergessen, wenn Sie mir was am Telefon verkaufen wollen!«
    Rüpel!, dachte ich und hatte gleichzeitig das ungute Gefühl, dass mehrere Leute mithörten.
    »Herr Maisfelder, ich habe ein besonderes Angebot für Sie. Lassen Sie die Böden Ihrer Firmenräume regelmäßig reinigen?«
    »Ja.«
    »Stören Sie sich auch an den hohen Ausgaben für Reinigungsmittel?«
    »Ja, aber hören Sie …«
    »Unser Produkt Wisch&Sauber verringert die Ausgaben um fünfundzwanzig Prozent bei gleichzeitig höherer Wirksamkeit. Ohne Rutschgefahr …«
    Der muffige Herr reagierte null.
    »Sagen Sie, kann es sein, dass hier noch andere mithören?« Falsche Frage.
    Eisiges Schweigen, dann knallte er den Hörer auf.
    Meine Hand war klatschnass, ich legte auf und wartete. Der junge Mann kam wieder herein und brachte mich in den Klassenraum zurück. Ich fühlte mich leer und müde.
    Es war schon später Nachmittag, als Madame España unser Häufchen von zehn Auserwählten beglückwünschte zu unserem tollen, neuen Job, der uns in den Himmel des Telefonmarketings bringen sollte. Sie klatschte ein paarmal anerkennend in die Hände, ihre Frisur saß noch genau so wie vor vier Stunden, nur der schwarze Faden an dem Saum wippte hin und her.
    Wir sollten uns am nächsten Tag um 9 Uhr an einer Adresse in der Nähe des Hotels einfinden. Dort würden wir täglich von 9 bis 14 Uhr zusammenkommen. Sie verabschiedete uns und schien ein ebensolch freudiges Lächeln von uns zu erwarten, wie sie es uns vormachte. Wir blieben ernst, und auch in den nächsten Tagen hatten wir nicht viel zu lachen.
    Der nächste Morgen war kalt und regnerisch. Ich musste eine Weile suchen, bis ich die Hausnummer und den Eingang in der angegebenen Straße fand. Dort standen schon meine anderen neun Kollegen und warteten schweigend und freudlos.
    Zwei von ihnen stachen aus der grauen Gruppe hervor: ein verschlossen aussehender Hüne, der sich lässig gegen die Tür lehnte, und eine junge Frau mit Nasen-, Brauen- und Lippenpiercings. Genau diese beiden zählten innerhalb kürzester Zeit zu den Erfolgreichsten unserer Gruppe. Er telefonierte stets mit todernstem Gesicht, in seiner Bariton-Stimme schwang aber fortwährend ein kieksiges Lächeln mit, ganz nach Morgenradio-Moderatoren-Art, und das schien sehr gut bei denen anzukommen, die er am Telefon überfiel. Die Gepiercte sprach wie eine Schlafmütze, fläzte sich trotz Madame Españas Stirnrunzeln unfein auf dem Bürostuhl und sahnte die neuen Mitgliedschaften nebenbei ab, ohne sich aus ihrer Hänger-Haltung auch nur für fünf Minuten
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