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1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe

1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe

Titel: 1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe
Autoren: Petra van Laak
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herauszubemühen. Ich habe nicht begriffen, was ihr Trick war.
    Die Tür öffnete sich, Madame España hatte ihr betoniertes Strahlen aufgesetzt. »Guten Morgen, Sie haben alle ein phantastisches Büro bekommen, kommen Sie, ich zeige Ihnen alles.«
    Der Flur war eng, es gab keine Garderobe, nur zwei Umzugskisten, über die wir unsere Mäntel werfen sollten. Links befand sich eine fensterlose Nische mit Wasserkocher und einem klebrigen Mülleimer, weiter hinten gab es eine Art Tresen, auf dem der Bildschirm eines Laptops flimmerte. Rechter Hand führte eine Stiege in den Keller – zur Toilette, ein gemeinsamer Verschlag für Männlein und Weiblein, die Tür ließ sich nicht richtig abschließen –, und hinter dem Tresen wand sich eine steile Wendeltreppe hinauf in das Obergeschoss.
    Wir kletterten vorsichtig hinter Madame España nach oben. Als der Hüne die Treppe betrat, wackelte die ganze Konstruktion.
    Oben gab es einen einzigen Raum, etwa fünfzehn Quadratmeter groß, mit Oberlichtern, aus denen trübes Tageslicht hineinfiel. An den Wänden entlang waren Büroschreibtische aufgestellt, zehn Bürostühle reihten sich eng aneinander, auf jedem Tisch Telefone.
    Wir sollten Platz nehmen und uns über das herrliche Büro freuen. Wir freuten uns. Meine Rückenlehne stieß mit der Rückenlehne meines Kollegen hinter mir zusammen. Links und rechts von mir war gerade so viel Platz, dass man den Hörer abnehmen konnte, ohne mit den Ellbogen an den Nachbarn zu stoßen.
    Madame klatschte wieder in die Hände, sie war in Topform, und der schwarze Faden am Jackett war auch wieder da.
    »Ja, das ist eine tolle Überraschung, nicht wahr, dieses Büro?! Wir werden hier viel Erfolg haben, fangen wir gleich an. Alles, was ihr braucht, liegt vor euch.« Nun, da wir zu den zehn Auserwählten gehörten, schien sie zum vertraulichen Du übergehen zu wollen. Ich probierte es gleich andersherum und rief sie mit »Kannst du mir mal helfen?« herbei – was ich lieber hätte bleiben lassen sollen, denn sie korrigierte im scharfen Ton vor allen anderen meine Anrede: Sie und Nachname bitte – ich habe mir ihren Namen übrigens nie merken können.
    Vor jedem von uns lag eine etwa dreißig Seiten starke, engbedruckte Excel-Liste, wir hatten unterschiedliche Namen und Telefonnummern, dazu drei DIN-A4-Seiten Instruktionen – Madame sprach von Telefonleitfaden –, die wir stumm verschlangen. Zu jedem Absatz waren Symbole abgebildet, wie man sie als das Auge beleidigenden Standard aus PC-Programmen kennt: vibrierende Telefonhörer mit Strahlen drum herum, Smileys, zwei aneinanderstoßende Sektkelche, flimmernde Herzen, erleuchtete Glühbirnen. Damit wir auch verstanden, um was es ging.
    Der Leitfaden war simpel aufgebaut, es ging darum, am Anfang stets geschlossene Fragen zu stellen, bis man drei »Ja«-Antworten hintereinander habe. Denn – jetzt wurde Frau España wissenschaftlich – es sei erwiesen, dass sich dann durch neuronale Vernetzung eine positive Grundstimmung beim Angerufenen ergäbe. Und dann könnten wir die Mitgliedschaft mir nichts dir nichts verkaufen. »Also los! Wer die erste verkauft, für den haben wir eine tolle Überraschung!« Sie klatschte wieder in die Hände – es war immer ein kurzes, lautes Geräusch, wie ein Peitschenknall.
    Zehn Telefonhörer wurden mit klammen Fingern aufgenommen, Madame España stand in der Mitte des Raumes, hinter unseren Rücken und beobachtete uns. Wenn sie näher herantrat, konnte man ihren Atem im Nacken spüren. Ganz kurz hatte ich ein Gefühl von Panik, jetzt bist du dran, jetzt kannst du ihr nicht genügen, jetzt gibt es kein Geld. Ich musste an Experimente aus den Sechzigern denken, Milgram und so weiter, vielleicht war diese ganze Sache gar nicht real?
    Diesen Zustand kannte ich doch. Während ich vier Gören in einem gediegenen Wohnviertel aufzog, tummelte sich mein Manager-Mann in der besseren Gesellschaft Berlins, sprach spätabends von inspirierenden Begegnungen in der Schweizer Botschaft, von großartigen Immobiliengeschäften mit einer Entwicklungsgesellschaft auf einem ehemaligen Militärgelände, von Plänen für einen den Hauptstadthimmel stürmenden Aussichtsturm, von neuen Erlebniswelten auf einer Tagebau-Brache. – Wovon sollte ich erzählen? Von der bösen Spritze beim Kinderarzt, vom Förmchenklau im Buddelkasten, vom Bio-Spinat, der auf einmal Anklang bei der Jüngsten fand?
    Unsere Parallelwelten wurden jäh miteinander verschränkt, als angebliche
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