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096 - Die Gräfin von Ascot

096 - Die Gräfin von Ascot

Titel: 096 - Die Gräfin von Ascot
Autoren: Edgar Wallace
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jedesmal, wenn diese kleinen Versuchungen an sie herangetreten wären, denen wir ja alle mehr oder weniger ausgesetzt sind, hätte sie gesagt: Welchen Zweck hat es? Ich bin ja doch dazu geboren - mein Vater sitzt im Zuchthaus.‹ Und so hätte sie nicht einmal versucht, zu kämpfen -« »Jedenfalls hast du es nicht geschickt genug angestellt. Du konntest mir nicht entgehen«, knurrte er.
    Verzweifelt erkannte sie, daß es ihr nicht gelungen war, ihn umzustimmen.
    »Vorher hatte ich nie mit gebildeten Leuten verkehrt«, fuhr sie fort, »obwohl ich im Waisenhaus eine gute Erziehung erhalten hatte. Erst als ich bei der Gräfin Fioli eine Stelle annahm, lernte ich das Leben dieser Leute kennen. Die Schönheit zog mich an, die freundliche Art, wie sie sprachen, aßen und sich bewegten - das alles machte großen Eindruck auf mich. Sie waren ja gut zu uns im Waisenhaus, aber niemals liebevoll. Und wenn ich dann an dich dachte, erinnerte ich mich, daß du niemals zärtlich und freundlich zu mir warst.«
    Ihre Worte klangen bitter und resigniert. Sie hatte damals im Waisenhaus vom Leben geträumt, das vor ihr lag, und als sie dann später in Stellung war, hatte sie angefangen, billige Romane zu lesen, die ihr eine schöne Welt eröffneten. Sie hatte davon geträumt, daß auch sie einmal einen Grafen oder einen Prinzen heiraten würde, und dann heiratete sie Joe Hoad, den Sohn eines Verbrechers.
    »Verstehst du denn nicht, daß ich für mein Kind sorgte? Ich wollte es nicht nur von uns und unserem Unglück befreien. Ein Kind schlägt seinen Eltern nach. Wenn es sie vor sich sieht, ahmt es sie nach. Ich habe es doch hier in unserer Gegend zur Genüge gesehen. Gute Eltern haben gute Kinder. Schlechte Eltern haben schwache Kinder, die schließlich doch auf die schiefe Ebene kommen, wie zum Beispiel Herman. Aber sie bleiben auf dem rechten Pfad, wenn man sie von allem Bösen und Schlechten fortnimmt. Ach, und ich wünschte, du hättest einmal die Gräfin Fioli kennengelernt! Wenn du gesehen hättest, wie liebevoll sie zu mir war.«
    Sie hielt inne, aber er starrte sie nur verständnislos an. »Marie war sieben Monate alt, als ich zu der Gräfin Marie Fioli nach Bournemouth kam. Ich hatte die Kleine in Pflege gegeben, und später erzählte ich der Gräfin von ihr. Ihr eigenes Kind war gestorben, und sie grämte sich deshalb. Nach einiger Zeit erlaubte sie, daß ich Marie für einen Monat zu mir nehmen konnte. Damals lieh sie mir ihren großen, prachtvollen Kinderwagen, mit rotem Glaceleder ausgeschlagen und goldenen Kronen darauf. Ich fuhr das Kind vor dem Haus auf und ab, denn sie war gut zu mir und schickte mich an die frische Luft, obwohl sie doch selbst so krank war. Sie war erst kurze Zeit von Italien fort und kannte in England nur wenig Leute. Man redete viel über sie. Die meisten glaubten, daß die kleine Marie ihr Kind wäre. Die anderen Kindermädchen waren fest davon überzeugt; sie hätten es auch nicht verstehen können, daß eine Frau so gutherzig war, zu gestatten, daß ein Mädchen ihr eigenes Kind bei sich hatte. Dann starb sie. Sie war nicht reich, wie die Leute sagen. Sie hinterließ mir etwa hundert Pfund für die Dienste, die ich ihr geleistet hatte. Dann hatte sie noch ein Legat für die Schule in Rom ausgesetzt, in der sie erzogen worden war. Das war alles. In Bournemouth redeten die Leute damals unheimlich viel. Sie sagten, daß sie ihrem kleinen Kind ein ungeheuer großes Vermögen hinterlassen hätte. Wir zogen dann fort - Marie und ich. Und von da ab hieß das Kind - ›Mylady‹.«

26
    Er lachte hart auf.
    »Das sieht dir wieder ähnlich! Du hast dir den Kopf mit dummen Geschichten vollgekeilt, bis du darüber den Verstand verloren hast. Aber bis jetzt hast du mir immer noch nicht erzählt, woher du das Geld hast.« Sie war müde und erschöpft.
    »Ich habe das Geld bekommen wie alle ehrlichen Leute - ich habe schwer dafür arbeiten müssen. Zunächst hatte ich ein kleines Kapital, das war ein großer Vorteil. Ich fing bescheiden an; Marie gab ich zu guten Leuten in Pflege, während sie noch ganz klein war. Und nachher hatte ich Glück. Das Geschäft, das ich begann, schlug gut ein, und ich konnte etwas Geld sparen. Zeit zum Ausruhen blieb mir nie. Ich brachte Marie dann auf die Schule, zuerst nach Bexhill, wo sie mit lauter netten und anständigen Kindern zusammenkam, und später nach Cheltenham. Das war das Beste, was ich für sie tun konnte.« Er sah sie unter seinen buschigen Augenbrauen düster an.
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