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0958 - Der Keller

0958 - Der Keller

Titel: 0958 - Der Keller
Autoren: Jason Dark
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nicht.«
    »Weshalb nicht?« fragte ich. »Sie ist verletzt worden.«
    »Am Bein.«
    »An der Wade, Herr Sinclair«, erklärte der Arzt.
    »Wie sah die Verletzung aus?«
    Dr. Klinger räusperte sich. »Das bereitet uns ein wenig Probleme. Zuerst dachten wir an einen Hundebiß, denn aus der Wade wurde ein Stück Fleisch herausgerissen. Aber die ›Abdrücke‹ stimmten nicht mit denen eines Hundes überein. Wir haben extra einen Experten angeheuert, um auf Nummer Sicher zu gehen. Und er erklärte, daß dieser Biß nicht von einem Hund stammte. Sie müssen bedenken, daß der Frau ein Stück Wade fehlt!«
    »Wer hat denn nun gebissen?« fragte ich.
    »Das ist unser Problem.«
    »Sie haben doch ›Abdrücke‹«, sagte Harry Stahl.
    »Haben wir, Herr Stahl. Nur«, der Arzt schüttelte den Kopf und schaute auf seine Füße. »Diese Abdrücke geben uns ebenfalls Rätsel auf. Sie können durchaus von einem Menschen stammen, der sich in diese Wade festgebissen hat.«
    »Nicht nur festgebissen«, sagte Harry. »Er hat auch ein Stück herausgerissen.«
    »So ist es.«
    »Und welcher Mensch tut so etwas?« fragte Harry.
    Dr. Klinger wollte lächeln. Es klappte nicht so ganz. »Ich weiß es nicht, Herr Stahl, aber in dieser Welt gibt es viele Verrückte, die etwas tun, was keiner von uns nachvollziehen kann. So ist es auch dieser Patientin ergangen. Ich weiß nicht, wer sie gebissen hat, aber es wird schwer werden, ihr Bein zu retten. So, wie sie noch vor einer Woche gelaufen ist, wird sie nie mehr gehen können, das steht auch fest, meine Herren. Ich mache mir Sorgen, und ich merke auch, daß in mir etwas hochquillt, mit dem ich noch nie zu tun hatte. Ich weiß keine Erklärung, aber ich habe Furcht.«
    »Kann ich mir denken«, sagte Stahl. »Noch mal gefragt, Doktor. Ein Hund war es nicht?«
    »Nein. Alle Anzeichen weisen auf das Gebiß eines Menschen hin. So schlimm und unwahrscheinlich es sich auch anhört. Man könnte meinen, es mit einem Kannibalen zu tun zu haben.« Dr. Klinger schaute uns an.
    »Was sagen Sie dazu? Sind Sie erschreckt?«
    »Wenn, dann zeigen wir es nicht«, erwiderte Harry.
    »Gut.«
    »Aber wir können mit der Patientin reden?« fragte ich.
    »Ja, das können Sie. Ich weiß natürlich, über was Sie mit ihr sprechen wollen, und ich denke, daß sie den Schreck des Angriffs noch nicht verkraftet hat, wobei ich davon ausgehe, daß sie ihn kaum verkraften kann oder wird, deshalb möchte ich Sie bitten, bei ihr etwas vorsichtig und behutsam zu sein.«
    »Ja, das versteht sich«, versprachen wir.
    »Dann zeige ich Ihnen das Zimmer. Wir haben Frau Behle in ein Einzelzimmer gelegt, aber ich weiß nicht, wer ihren Aufenthalt hier zahlen soll.«
    »Sie hat das Armenrecht«, sagte Harry.
    Der Arzt hob die Schultern. »Daran wird man sich in diesem Land wohl bald gewöhnen müssen, wenn immer mehr Menschen arbeitslos werden oder sogar die Wohnung verlieren. Diese Probleme können wir hier leider nicht lösen, sonst wäre schon etwas geschehen…«
    Keiner von uns widersprach.
    ***
    »Ich kenne euch nicht«, sagte Gisela Behle mit schwacher Stimme.
    »Wie heißt ihr?«
    Wir wiederholten noch einmal unsere Namen.
    »Aber du bist kein Deutscher«, sagte sie zu mir.
    »Das stimmt.«
    Ihr kleiner Kopf verschwand fast in dem dicken Kissen. »Verdammt noch mal, bin ich plötzlich sogar für einen Ausländer wichtig geworden? Ich, die Pennerin, die nichts wert ist?«
    »Jeder Mensch ist etwas wert«, erwiderte ich.
    »Bitte nicht, Sinclair. Nicht diese Philosophie, die von der Praxis längst überholt ist. Mein Leben war in den letzten Jahren nur noch beschissen, und jetzt bin ich ganz unten. Tiefer geht es nicht mehr. Ich besitze nichts, abgesehen von meinem Rucksack und dem Inhalt. Sogar ein Stück Wade fehlt mir. Das nehmen sie dann den Ärmsten der Armen auch noch ab.«
    »Wer tat es?« fragte Harry.
    Die Frau schwieg. Sie schloß auch die Augen. Ihr Gesicht mußte einmal hübsch gewesen sein, aber die letzten Jahre hatten schlimme Spuren hinterlassen. Sorgenfalten wirkten wie eingebrannt. Der Mund zeigte einen depressiven Zug nach unten. Aus ihren Augen war der Glanz verschwunden.
    Nach einer Weile schaute sie uns wieder an. »Ihr seid ja noch immer da.«
    »Wir warten auf eine Antwort«, sagte Harry.
    »Es geht mir gut. Ja, es geht mir gut. Ich liege hier im Bett. Ich werde noch lange hier liegen. Ich kriege regelmäßig zu essen, werde gewaschen - es geht mir gut. Ich werde bestimmt erst wieder im Sommer rauskönnen
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