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0934 - Der Schlüssel zur Quelle

0934 - Der Schlüssel zur Quelle

Titel: 0934 - Der Schlüssel zur Quelle
Autoren: Simon Borner
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Und irgendwann reichen Glühbirnen nicht mehr aus. Omar wird ein wenig wie Jekyll und Hyde - es gibt Phasen in seinen Tagen, in denen er völlig aus sich heraustritt und ein anderes Ich das Ruder übernimmt. Eines, das nur die Gier kennt, nur den Hunger. Hunger nach Energie. Omar saugt sie an, wo immer er sich gerade befindet. Als wäre sie Luft zum Atmen. Als wäre er ein Blitzableiter in einer Welt aus Blitzen.
    Fernseher implodieren in seiner Nähe, und wenn er blinzelnd und schweißgebadet zu sich kommt, sieht er verwundert auf ihre qualmenden Überreste. Autos saufen ihm ab, obwohl ihre Batterien neuwertig sind, und er schiebt es auf Materialschwäche, fügt Mechanikern Schmerzen zu. Einmal - und die Erkenntnis ist so bitter, dass er sie auf Jahre hinweg im hintersten Winkel seines Unterbewusstseins vergräbt - einmal bringt er sogar ein Auto zum Kochen!
    »Denn nach den Geräten kamen auch Menschen dran.« Zamorra begriff. Und der Reigen aus Bildern setzte sich fort, erklärte, schuf Zusammenhänge.
    Was ist schon nahrhafter als das Leben selbst? Was bietet einem Energievampir mehr Kraft, als die Energie des menschlichen Daseins an und für sich? Omar wird zu einer ganz neuen Version eines Killers. Er tötet nicht länger mit der Waffe oder den Drogen, die er jahrelang an der Straßenecke an Junkies, Penner, Yuppies und Schulkinder vertickt. Sondern mit dem Geist. Seine Anfälle sind so stark geworden, dass sie schlicht alles aufsaugen, was in ihrer Nähe ist. Elektrizität, Lebenskraft… Anything goes. Er würde die Sonne in sich aufnehmen, wenn er es könnte, denn seine Gier kennt keine Schranken. Doch sie bleibt ihm stets unbekannt. Was die Außenwelt - und seine eigene Selbstwahrnehmung - anbelangt, leidet er an Epilepsie. Der Rest ist Zufall, heißt es. Was soll es auch sonst sein? Rational lässt sich diese Wahrheit nicht erklären, also versucht es auch niemand.
    Und so bringt Omar Little Menschen um oder an den Rand ihrer körperlichen und geistigen Kräfte, ohne es zu wissen. Zunächst auf der Straße und dann, nach seiner Verhaftung, auch im Inneren der Unit. Denn es geschieht während seiner Aussetzer, seiner spastischen Eskapaden. Dann, wenn der echte Omar Little vorübergehend »außer Haus« ist. Wenn sich seine Augäpfel nach innen drehen und der Reflex übernimmt.
    Nur irgendwann ist die Zeit des Saugens vorbei.
    Mike hatte recht. Irgendwann ist der Energiespeicher Omar Little so voll, dass er beginnt, selbst Energie abzusondern. Und seine Ströme treffen auf andere unvorbereitete Geister. Seine Ströme sind wie Anweisungen, wie Impulse. Wie eine Fernbedienung, an deren Tasten der Wahnsinn selbst sitzt.
    Nur: Warum schaltet Omar auf einmal um und wird vom Empfänger zum Sender? Liegt es schlicht an der Menge an gespeicherter Kraft?
    Die Bilder, die Zamorra sieht, scheinen diese Vermutung nahe zu legen, doch das kann nicht sein. Es würde noch nicht erklären, wovon Jenny Moffat berichtet hat: das Wissen über den Erbfolger und die Quelle des Lebens. Warum kennt ein Krimineller, der in einem texanischen Gefängnis vor sich hinvegetiert und zeitlebens nie etwas mit den Llewellyns, den Schergen der Hölle und den anderen Protagonisten dieses die Jahrtausende überdauernden Kampfes zu tun hatte, dessen Details? Warum weiß er über den Weg zur Quelle Bescheid? Über die Hüterin?
    Zamorra ahnt die Antwort schon, bevor er die entsprechenden Bilder sieht. Dennoch rauben sie ihm den Atem. Die Erkenntnis ist wie ein Schlag in die Magengrube, gerade weil sie seine Befürchtungen bestätigt.
    Keuchend und atemlos kommt er wieder zu sich.
    ***
    Die geistige Verschmelzung, die der Meister des Übersinnlichen und Gryf mit dem wie weggetreten wirkenden Omar versucht hatten, war ein voller Erfolg - und hatte, obwohl es Zamorra wie Stunden vorkam, nur wenige Minuten gedauert. Blinzelnd fand der Professor in die Wirklichkeit zurück und sah seinem Begleiter in das wissende Gesicht.
    Gryf grinste. »Bingo!«
    Die Quelle! Sie hatten die Quelle des Lebens gesehen - in Omar Littles Erinnerungen. Er war da gewesen, wenn auch nur auf astraler Ebene, war selbst bis zur Grenze jener Sphäre vorgedrungen. Und er hatte begonnen, Energie von ihr abzuzapfen. »Diesmal hast du mehr abgebissen, als du kauen konntest«, murmelte Zamorra und nickte Little zu, der darauf nicht reagierte, nach wie vor geistig abwesend zu sein schien. »Nicht mit Absicht. Ich bezweifle sogar, dass dir bewusst war, wo du da überhaupt gelandet
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