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0934 - Der Schlüssel zur Quelle

0934 - Der Schlüssel zur Quelle

Titel: 0934 - Der Schlüssel zur Quelle
Autoren: Simon Borner
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Konstante in einer Welt aus stupider Routine und Perspektivlosigkeit.
    An der rechten Seite der Zelle stand ein Hochbett aus zwei Pritschen. Oben lag Frobisher auf der seinen, umklammerte nervös seine grobe Decke und wartete vergeblich auf einen Schlaf, der nur den Sorglosen geschenkt wurde. Unten schnarchte Omar. Zumindest, wenn er nicht gerade redete.
    Oh Gott, diese Geschichten…
    Bei jedem Wort von ihm zuckte Frobisher zusammen. Jede Bewegung des Farbigen im anderen Bett ließ ihn die Muskeln anspannen und die Hände zu Fäusten ballen. Machte ihn zu einem nervlichen Wrack. Es war Tage her, dass Frobisher richtig durchgeschlafen hatte, denn er wagte es nicht, Omar gegenüber die Deckung sinken zu lassen. Die Nächte im Knast waren lang und einsam - und nach allem, was man so munkelte, brauchte Omar nur Sekunden…
    Frobisher hatte nie gewollt, dass der einstige Dealer, Mörder und Gelegenheitszuhälter aus den Slums der Stadt sein Zellengenosse wurde. Niemand in Walls Unit, wie die Insassen das Größte der Huntsviller Gefängnisse aufgrund seiner Backsteinmauern getauft hatten, wollte Omar. Und das lag an den Geschichten. Nicht nur an denen, die Omar selbst vor sich hinplapperte, wenn er wieder einen seiner abstoßenden Anfälle bekam - krude Räuberpistolen voller absurd-fantastischer Wesenheiten, die um den Weg zu irgendeiner Quelle wetteiferten, die für sie wohl die Lösung aller Probleme darstellte. Sondern auch an denen, die man hinter vorgehaltener Hand über Omar erzählte.
    Geschichten, die schlimmer waren, als alles, was sogar das kranke Hirn des Afroamerikaners mit der Häftlingskennung C-1701 sich hätte ausmalen können!
    Bennet wusste ein Lied von ihnen zu singen, zweifellos. Doch Bennet lag auf der Krankenstation im B-Trakt, seit er und Omar die Zelle geteilt hatten. Wachkoma, ohne Hoffnung auf Besserung.
    Auch der alte O'Reilly hätte sicherlich erhellende Erkenntnisse zu berichten, doch O'Reilly lebte nicht mehr. Der »irische Baum« war ein Hüne sondergleichen gewesen. Er hatte in Huntsville gesessen, seit Nixon im Amt war, doch ein Nachmittag in der Gefängniswerkstatt und in Omar Littles Nähe hatte ausgereicht, um ihn dauerhaft zu entwurzeln.
    Frobisher wusste nicht, was genau geschehen war, weil es niemand wusste. Doch unter den Insassen der Unit ging das Gerücht, der so emsige O'Reilly sei auf einmal ein gebrochener Mann gewesen. Mutlos, antriebslos, wenig mehr als eine leere Hülle. Und unglaublich verschlossen. Zwei Tage nach jenem Nachmittag hatte O'Reilly sein Hemd in Streifen gerissen, diese zu einem provisorischen Strick zusammengeknüpft und sich damit an der Pritsche in seiner Zelle erwürgt.
    Warum?
    Depression, sagte der Obduktionsbericht und tat die Angelegenheit einfach ab.
    Wegen Omar, wussten die Insassen. Auch ohne behördliche Untersuchung.
    Wegen dem, was Omar aus dem irischen Baum gemacht hatte.
    Niemand wusste, weshalb oder wie der Schmächtige mit dem Narbengesicht vorging. Vermutlich hatte sogar Omar selbst keine Ahnung, was genau er da tat. Frobisher hatte gesehen, wie er zuckte und die Augen verdrehte, wenn er wieder einen seiner Anfälle bekam. Dann war Omar kein Mensch mehr, war sich seiner selbst und seiner Taten nicht bewusst. Und verglichen mit dem, was man abgesehen davon über Omar munkelte, waren diese Anfälle noch Kinderkram.
    Die Wärter kümmerten sich einen Scheißdreck um Dinge, die sie nicht sehen wollten. Selbst die, die nicht von Grund auf Arschlöcher waren. Aber das, so wusste Frobisher mit einer Sicherheit, die an Verzweiflung grenzte, machte diese Dinge nicht weniger wahr oder weniger real. Es hieß, Omar Little, Häftling C-1701, leide an Epilepsie. Gott im Himmel, wenn das Epilepsie war, dann gehörte sie auf die Liste der von der UN geächteten Massenvernichtungswaffen!
    »Derbfolger kannichmehr bschützn.«
    Frobisher hätte fast laut aufgeschrien, als sein Zellengenosse erneut zu sprechen begann. Offenbar driftete Omar wieder in eine Tiefschlafphase ab, denn seine Worte wurden unverständlich, sinnfreies Gemurmel eines Träumenden.
    »Dr. Vampiris nah abber ersiehtnich.« Ein Furzen folgte.
    Weiter so, Großer , dachte Frobisher und bemühte sich, sein Zittern zu kontrollieren. Vielleicht bekomme ich doch noch 'ne Mütze Schlaf, wenn du tatsächlich wegdriftest. Zumindest könnte ich es dann wagen, kurz die Augen zu schließen.
    Dominic sollte seinen Schlaf in dieser Nacht tatsächlich bekommen. Aber es wurde einer von der Sorte, die
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