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0933 - Der erste Erbfolger

0933 - Der erste Erbfolger

Titel: 0933 - Der erste Erbfolger
Autoren: Oliver Fröhlich
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Augen an. »Du siehst aus, als wäre der Gehörnte persönlich hinter dir her. Was ist los?«
    Du ahnst nicht, wie richtig du damit liegst! , dachte er.
    »Packt eure Sachen! Ihr müsst von hier verschwinden!«
    Nun ließen auch Sennja und Jurg ihr Essbesteck fallen. Ein Augenblick ungläubiger Stille kehrte ein. Der würzige Geruch des Schmorbratens und der Kautan-Markklößchen-Suppe drang in Invos Nase und machte ihm klar, was er von seiner Familie verlangte. Sie sollte das Leben aufgeben, das sie kannte. All die Leckereien, die nur Priestern oder hochgestellten Ratsmitgliedern zuteilwurden. Das wertvolle Geschirr, die hübschen Kleider, die kuscheligen Betten. Die Abende bei einer Partie Sem'ry mit einem oder mehreren Bechern feinsten Weines.
    »Ich verstehe nicht! Was redest du da?«
    »Eine Vision!«, stieß Invo hervor. »Ich hatte eine Vision. Ich habe das Ende der Welt gesehen! Ihr müsst Hysop verlassen! Sofort!«
    Jurg stand auf und packte seinen Vater bei den Schultern. Der Griff war fest und kraftvoll, wie man es von einem Fünfundzwanzigjährigen erwarten konnte. In seinen braunen Augen lag eine Mischung aus Sorge und Belustigung. Nahm er Invo nicht ernst? »Das Ende der Welt?«
    »Dämonen! Überall! Hunderte, Tausende, ach was: Montillionen!«
    Der junge Mann lachte. »Vater, du redest wirr! Außerdem: Wenn du das Ende der Welt gesehen hast, wo wären wir dann sicher?«
    Noch bevor Jurg auch nur zucken konnte, verpasste Invo ihm eine schallende Ohrfeige. »Wage es nicht, so mit deinem Vater zu sprechen. Zeige den Respekt, den der oberste Priester verdient.«
    Abrupt wurde Jurg ernst. Er rieb sich die Wange und sah zu Boden. »Entschuldige.«
    »Natürlich kommt das Ende der Welt nicht heute, Närrischer! Aber bereits heute wird eingeleitet, was in Tausenden von Jahren eine schreckliche Bedeutung erlangen wird.«
    Nun erhoben sich auch Ursa und Sennja vom Tisch. »Ich will nicht respektlos erscheinen, Vater«, sagte seine fünfzehnjährige Tochter. »Aber ich verstehe den Zusammenhang nicht. Was interessiert uns, was in Tausenden von Jahren geschieht?«
    Invos Blick wurde weich, als er seine Tochter ansah. Ihre Haut trug wie seine den Schimmer der Götter. Eines Tages würde sie seine Nachfolge im Amt des obersten Priesters antreten - wenn er heute nicht versagte! »Die Götter haben mir die Vision geschickt, um das Böse aufzuhalten! Und sie haben mir gezeigt, dass ihr sterben werdet, wenn ihr bei mir bleibt! Schluss jetzt mit den Fragen! Packt und verlasst die Stadt.« Er wandte sich seiner Frau zu. »Ursa, bitte! Geht in die Berge oder zu deiner Schwester nach Oprex!«
    Es verging eine weitere Stunde, bis Invo seine Familie überzeugt hatte. Hoffentlich fehlte ihm diese Zeit später nicht, wenn es darum ging, die Wurzel des Bösen aus der Erde zu reißen.
    Als Ursa und die Kinder endlich das Haus verlassen hatten, sah er ihnen aus dem Fenster nach, bis sie zwischen dem Laden des Gewürzhändlers und einem Wohngebäude verschwunden waren. Dann glitt sein Blick über sein geliebtes Hysop. Die meisten Häuser erstrahlten in reinem Weiß, egal ob einstöckige Bauten oder geschwungene Türme, ob rechteckig oder spiralförmig. Über allem stand der Lebensspender am Himmel und sandte seine Wärme und Energie aus. Wie konnte dieser friedliche, schöne Ort zur Brutstätte des Bösen werden?
    Der Priester seufzte und wandte sich ab. Er setzte sich für einige Minuten an den reichhaltig gedeckten Tisch, goss einen Schluck Wein in den Kristallkelch und schüttete ihn sich ohne jeden Genuss in die Kehle. So hastig, dass ihm die Flüssigkeit aus den Mundwinkeln rann - wie Bahnen aus Blut - und auf das Priestergewand tropfte. Gleichgültig! Er fürchtete, dass er es ohnehin nicht mehr lange benötigte.
    Mit dem gedehnten Stöhnen eines alten Mannes stand er auf. Er wusste, was er zu tun hatte! Dennoch sperrte sich etwas in ihm. Er war Priester, kein Gesetzesbrecher! Wenn er das Böse aufhalten wollte, blieb ihm aber nichts anderes übrig, als ein verabscheuungswürdiges Verbrechen zu begehen.
    Was für eine Prüfung, die ihm die Götter auferlegt hatten!
    Auf zittrigen Beinen wankte er die Treppe hinunter in den Meditationsraum.
    Noch immer lag der süßliche Geruch des Borlius-Tranks in der Luft, doch nun kam er Invo nicht mehr verlockend, sondern abgestanden und schal vor. Er spähte durch den Samtvorhang in den Tempelraum. Von Jesof war nichts mehr zu sehen. Offenbar hatte er die Reinigung bereits beendet. Auch
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