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0920 - Welt der Stille

0920 - Welt der Stille

Titel: 0920 - Welt der Stille
Autoren: Simon Borner
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bedurfte noch eines letzten Schubsers, bis er endlich fiel.
    Und Bruder Rufus - ausgerechnet der so abweisende, reservierte Rufus - schubste. »Das da«, sagte er und deutete auf den Alten auf der Pritsche, »sind Sie, Struttenkötter. Niemand sonst. Sehen Sie genau hin: die Augen, die Mundpartie… So sähen Sie aus, wenn Sie Hunderte von Jahren gelebt hätten.«
    »Oder auf eine ganz spezielle Weise durch die Zeit gereist wären«, fügte Benedikt hinzu. »Sie sind der Mann, der einst Martinus erschien. Sie sind der Quell der Energie, die unsere Kuppel aufrecht erhält. Eusebius, Sie sind unsere Arche! Und dadurch, dass wir Sie vor dem Untergang der Zeit gerettet haben, haben wir unsere Aufgabe tatsächlich erfüllt. Ich erkenne es jetzt erst. Es gab nie einen wichtigeren Passagier für uns, als sie. Denn durch Sie retteten wir uns selbst.«
    Eusebius' Gedanken rasten. Er drehte den Kopf, schaute den reglos da liegenden Alten an. Konnte es sein? War das da wirklich er? Dieser… dieser wehr- und kraftlose Haufen aus Haut und Knochen? »Wie?«, keuchte der Geologe. »Ich bin nicht magisch begabt. Ich verfüge nicht über solche Kräfte. Ich kann doch nicht durch die Zeit reisen; Herrgott, ich habe gerade mal einen Führerschein der Klasse 3!«
    Benedikt nickte. »Noch nicht«, bestätigte er. »Aber dieser Alte dort beweist, dass Sie diese Talente bekommen werden. Vermutlich dadurch, dass Sie sich einer immensen magischen Energie aussetzen.«
    »Und wie soll das gehen?«, fragte Struttenkötter hohl und ahnte die Antwort doch schon.
    Der junge Mönch lächelte ihn an, hob den Arm und deutete nach vorn. Auf die gleißend helle Kuppel aus Energie, die den Raum vor der Außenwelt abschirmte. Die Kuppel, die einen Menschen altern und verschwinden ließ, wenn er sie nur berührte. »Holen Sie Anlauf, Eusebius«, sagte Benedikt sanft. Er klang amüsiert. »Holen Sie einfach Anlauf. Und wenn Sie im fünfzehnten Jahrhundert ankommen, grüßen Sie Bruder Martinus von mir. Laut unserer Chronik haben Sie ihm einen ganz schönen Schrecken eingejagt, als Sie plötzlich vor ihm materialisierten.«
    Vor einigen Jahren hatte Eusebius Struttenkötter einen ziemlich wirren Film gesehen. In ihm war ein Killerroboter aus der Zukunft in die Gegenwart gereist, um die Mutter des Mannes zu töten, der in selbiger die Rebellion der Menschen gegen die Maschinen anführte. Und es war dem Drehbuch schnurzegal gewesen, dass der Roboter durch seine Handlungen diese Zukunft - aus der er selbst ja stammte - rein logisch betrachtet eigentlich unmöglich machte. Der Film hatte sich inhaltlich selbst negiert. Und sich kein bisschen daran gestört.
    Eusebius blickte nach vorn, sah die glitzernde Wand aus magischer Energie wenige Schritte vor sich. Wartend.
    Er atmete einmal tief ein. »Hasta la vista, Baby«, murmelte er leise - und dann rannte er los.
    ***
    Mainz, 1455
    Als Zamorra dieses Mal dem Meer aus Farben entkam, spürte er, dass er ganz war. Real. Staunend tastete er sich ab, fühlte den Widerstand seiner Kleidung, seines Körpers unter den Fingern. Es hatte funktioniert, die Reise durch Dandronos privates Zeitkabinett war tatsächlich gelungen.
    Der Meister des Übersinnlichen fand sich dort wieder, wo er hingewollt hatte: in einer sonnenbeschienenen Gasse des mittelalterlichen Mainz, kurz vor der Christophstraße und dem Gutenbergschen Hof. Die Luft war rein, kein Mensch zu sehen. Und das Timing stimmte auch. Dies war der rechte Moment, er wusste es. Zamorra zögerte nicht lange, blickte sich ein letztes Mal um und setzte sich dann in Bewegung.
    »Das Angebot unseres Gegners bot Gensfleisch die Antwort auf all seine Gebete.« Der Klang seiner eigenen Stimme ließ den Meister des Übersinnlichen inne halten. Wer sprach dort? »Und da wird er nicht zwei Mal nachgedacht haben, bevor er einschlug.«
    Zamorra wandte sich um. Nur wenige Schritte hinter sich bogen gerade Nicole und er selbst in die Gasse ein - die Versionen von ihnen, die gerade aus Lyon hergereist waren! Sie sahen siegessicher aus, nahezu amüsiert. So als hätten sie wenig mehr zu tun, als hier ein paar Tasten zu drücken und alles wäre ungeschehen gemacht. Naiv , dachte er bitter. Gott, was waren wir naiv. Wir sind blindlings in die Gefahr gelaufen. Hätten uns diese Mönche damals nicht angegriffen und am Betreten der Gutenbergschen Werkstatt gehindert, Dandrono hätte uns vermutlich direkt und ohne ein Wort der Erklärung ins Nebelreich verbannt. Genau wie Josephine. Zamorra
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