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091 - Die Braut des Hexenmeisters

091 - Die Braut des Hexenmeisters

Titel: 091 - Die Braut des Hexenmeisters
Autoren: John Willow
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Raphael Carvin, Korrespondent mehrerer internationaler okkulter Zeitschriften. Gewissermaßen Stammgast hier.“ Er brachte Manon ein Glas Sekt.
    Manon fühlte sich plötzlich ganz unbefangen. Wie hatte sie nur Angst vor dieser Seance haben können! Sie glaubte sich ins echte Pariser Nachtleben versetzt. „Manon Regnard“, stellte sie sich vor. „Ich komme aus der Provinz und bin sehr neugierig. Gibt es hier vielleicht auch einen Striptease?“
    Monsieur Carvin lächelte. „Das hatten Sie wohl nicht erwartet, wie? Eine verteufelt gute Publicity, die der Meister macht. Mit billigem Hokuspokus locken Sie heutzutage keine guten Gäste mehr ins Haus.“ Er deutete verstohlen in die Runde. „Die meisten der hier versammelten Leute wollen sich nur amüsieren. Ein gutes Büfett und spiritistischer Nervenkitzel – das gibt eine raffinierte Mischung. Das nimmt man gern mit, auch wenn man für Geister nichts übrig hat. Keiner wird von seinem Besuch beim Meister enttäuscht.“
    Manon trank einen Schluck von dem ausgezeichneten Sekt. „Also ist das hier alles nur Bauernfängerei?“
    Monsieur Carvin wurde ernst. „Oh, nein, Mademoiselle. Der Teufel gibt sich zwar modern, aber er bleibt der Teufel.“ Er beugte sich näher und flüsterte: „Die Stammgäste sind fanatische Anhänger des Meisters. Sie kommen zu jeder Seance. Sehen Sie dort drüben die große dunkelhaarige Frau in dem roten Abendkleid? Sie gehört zu den Eingeweihten. Eine rassige Frau, diese Madame Brasson. Sie brennt vor Ungeduld, in die höchste Region vorzustoßen und den Meister zu sehen.“
    „In die höchste Region?“ fragte Manon verständnislos.
    „Das ist der oberste Saal unter der Zinne“, erwiderte Monsieur Carvin. „Sie erreichen ihn über diese Wendeltreppe in der Mitte des Saals. Jeder Gast muß die vier Elemente durchlaufen, ehe er um Mitternacht oben beim Meister im Saal der Luft oder der Geister an der Seance teilnehmen darf.“ Monsieur Carvin war sichtlich in seinem Element, denn er hob den Zeigefinger, schob sein Sektglas und den halbgefüllten Teller weit von sich, und seine Stimme klang feierlich. „Das hier“, sagte er und beschrieb einen Kreis mit seinem Zeigefinger, „ist der unterste Kreis des Universums – der Saal des Feuers oder der Hölle. Hier regiert die Wollust.“ Monsieur Carvin blickte sich verächtlich um. „Wer hier unten bleibt, kann sich besaufen, bis er umfällt. Er wird nie das Wesen der Dinge erkennen. Darüber liegt der grüne Saal – der Kreis des Wassers. Dort muß sich jeder Gast waschen und seine irdischen Gedanken verdrängen. Eine Treppe höher kommen wir dann in den braunen Saal – in den Kreis der Erde, in dem wir die Verwandlung und Hinfälligkeit aller sichtbaren Körper erleben. Erst dann kommen wir in den blauen Saal, den höchsten Kreis der Elemente, wo der unvergängliche, körperliche Geist lebt.“
    „Na, das klingt ja alles ganz vernünftig“, sagte Manon und trank ihr Glas leer. „Gar nicht wie Schwindel.“
    „Es ist auch kein Schwindel“, versicherte Monsieur Carvin mit ernster Stimme. „Absolut nicht. Sie werden es ja selbst erleben, Mademoiselle.“
     

     
    Als sie um Mitternacht den obersten Kreis erreichten, waren von den rund fünfzig Gästen nur knapp die Hälfte übriggeblieben. Die meisten waren umgekehrt, nachdem sie einen Stock tiefer in schauerlichen Bildern und Skulpturen Darstellungen des Hungers, der Not und des Krieges gesehen hatten. Stumm und sichtlich erschüttert hatten sich viele der Gäste wieder in den untersten Saal zurückgezogen und versuchten dort, mit Sekt und Cocktails ihr seelisches Gleichgewicht wiederzufinden. Der Rest versammelte sich oben im Saal der Geister.
    Hätte Manon geahnt, was ihr bevorstand, wäre sie ebenfalls in den untersten Kreis des Turms geflohen.
    Es fing ganz harmlos an. In dem Saal gab es kein Licht. Man konnte im blassen Schein der Sterne und der Mondsichel nur Umrisse erkennen. Die Fenster gingen nach Norden, Süden, Westen und Osten. In der Mitte des Saales stand ein runder Holztisch mit mehreren Stühlen, die am Boden festgeschraubt waren.
    Es wurde kein Wort gesprochen. Die Anhänger des Meisters bedeuteten den Eintretenden Platz zu nehmen. Madame Robin zog Manon neben sich auf einen Stuhl, dem Meister gegenüber.
    Dann faßten sich alle Gäste an den Händen. Links neben Manon saß die rassige Madame Brasson. Ihre Hand war fiebrig heiß. Sie hatte nur Augen für den Meister. Neben ihr saß ihr hagerer Mann, ein Typ
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