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091 - Die Braut des Hexenmeisters

091 - Die Braut des Hexenmeisters

Titel: 091 - Die Braut des Hexenmeisters
Autoren: John Willow
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schiebe den Tisch und die Bänke davor.“
    Sie lief zur Tür und griff nach dem Schlüssel. Doch als sie ihn umdrehen wollte, bewegte er sich nicht. Sie stemmte sich gegen den Tisch, aber er gab keinen Zentimeter nach. Erschrocken bemerkte sie, daß das Holz durch ihre Hände hindurchging, als bestünden sie aus Luft.
    Der Mann stand unter der Balkontür und sah ihr mitleidig zu.
    „Es hat keinen Zweck“, sagte er mit Grabesstimme. „Was du verhindern willst, ist schon längst geschehen. Schlimmer noch – jeden Monat zu Neumond wiederholt sich diese schreckliche Qual. Ich bin verdammt, jeden Monat mit allen leiblichen Qualen durch das Richtschwert zu sterben und bis zur nächsten Hinrichtung im Fegefeuer zu brennen.“ Er senkte den Kopf. Unten hörte man schon das Getrappel vieler Füße auf den Treppen, das Klirren von Schwertern und den hohlen Klang der Rüstungen, die aufeinanderprallten.
    „Warum hast du mich dann gerufen?“ fragte Manon.
    „Nur du kannst mich erlösen, Manon.“ Er deutete mit der gepanzerten linken Hand auf die Tür. „Was du jetzt erleben wirst, ist meine erste, wirkliche Hinrichtung in der Bartholomäusnacht am 24 August 1572. Trotzdem kann ich die Henker mit der dämonischen Kraft meiner verdammten Seele noch so lange auf der Treppe aufhalten, bis ich dir meine Geschichte erzählt habe. Und alles, was du tun mußt, um mein Geschlecht zu erlösen.“ In seinen Augen standen Tränen. Dann wurden sie dunkel vor Haß. „Achte besonders auf den Mann mit der schwarzen Kutte und der Maske, der mit den Schergen durch die Tür treten wird. Er ist dein und mein Todfeind, auch wenn er sich schweigend im Hintergrund hält.“
    „Ich verstehe das alles nicht“, sagte Manon verwirrt.
    „Du wirst schon verstehen“, sagte der Mann, öffnete den Brustharnisch und zog ein Medaillon unter dem gestickten Wams hervor. Er hielt es Manon vor das Gesicht. „Erkennst du es?“ fragte er.
    Manon prallte betroffen zurück. „Das bin ja ich“, rief sie staunend.
    „Nicht du“, erwiderte der Mann, und ein gequältes Lächeln spielte um seine Lippen. „Diese Frau lebt in diesem Augenblick noch, während du erst in dreihundertachtzig Jahren geboren werden wirst.“
    „Ach ja, ich vergaß das. Aber es erscheint mir alles so – wirklich!“ erwiderte Manon verstört.
    „Es ist auch wirklich. Denn für den Geist gibt es keine Unterschiede der Zeit.“ Der Mann deutete auf das Medaillon mit dem Frauenkopf, der Manon so ähnlich war. „Das ist deine Urahnin. So wie ich, Jean Baptiste Dougnac, der Urahn deines Geliebten bin.“
    „Du?“ rief Manon betroffen. „Ah – deswegen dieses Gemälde!“
    „Das Gemälde, das du gesehen hast, ist kurz darauf verkohlt. Es existiert nicht mehr. Doch hör mich jetzt an, ohne mich länger zu unterbrechen. Für die Schergen da draußen vergeht jetzt keine Zeit, wohl aber für uns beide. Der Fluch muß noch vor dem Ende der ersten Morgenstunde gesprochen werden, sonst ist er unwirksam.“
    „Welcher Fluch?“ fragte Manon.
    Der Mann ging jetzt im Zimmer auf und ab. Die Dielen ächzten unter seinem Gewicht.
    „Ich war Burgvogt des Grafen von Vermandois“, berichtete der zum Tode Verurteilte hastig, während er im Raum auf- und ablief. „Und ich bürgte mit meinem Leben und meiner Ehre für die Unschuld und das Wohl seiner Tochter, solange der Graf gegen die Spanier und den Herzog von Savoyen kämpfte. Doch eines Tages kam ein Hexenjäger mit seinen Schergen zu unserer Burg in Saint-Quentin, mit einem Schutzbrief der Königin. Deshalb mußte ich ihm wohl oder übel Quartier im Burgtrakt geben.“
    „Ein Hexenjäger?“ fragte Manon verwirrt.
    „Ja“, sagte der Burgvogt leise, und der Haß trat wieder in seine Augen. „Ganz üble Burschen. Sie machen für ein Kopfgeld Jagd auf angebliche Hexen, Zauberer und jetzt auch auf Hugenotten, um sie der Inquisition und dem Scheiterhaufen zu überantworten. Dabei maßen sie sich selbst die Entscheidung an, wer zu den Hexen zu rechnen ist und wer nicht, und lassen sich manchmal die ganzen Ersparnisse von so einem armen Teufel geben, damit er nicht angeklagt wird. Ein übles Geschäft!“
    Von unten aus der Stadt drangen jetzt immer häufiger die Todesschreie der Hugenotten herauf. Das Gemetzel hatte seinen Höhepunkt erreicht. Der Burgvogt fuhr fort: „Dieser Schurke vergaffte sich in die Tochter des Grafen, für die ich mit meinem Leben bürgte. Als sie ihm nicht zu Willen war, wollte er mich erpressen: Entweder die
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