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091 - Die Braut des Hexenmeisters

091 - Die Braut des Hexenmeisters

Titel: 091 - Die Braut des Hexenmeisters
Autoren: John Willow
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des Hauses gegenüber die düstere Straße schwefelgelb erhellte. Ihre Augen weiteten sich, und ihr Schrei ging in dem krachenden Donnerschlag unter.
    Der Fahrer, der sie hierhergebracht hatte, hielt noch immer das Geld in der Hand. Er stand jetzt hoch über ihr auf einem Holzkarren mit steiler Bretterwand.
    Er war nackt bis zum Gürtel. Das Blut an seinen Armen war noch frisch. Es leuchtete so rot wie die Jakobinermütze, die ihm schief auf den schwarzen Haaren saß. Hinter dem Karren drängten sich viele Menschen. Ihr drohendes Gemurmel erfüllte die Straße von einem Ende zum anderen. Sie hoben die Fäuste und blickten sie haßerfüllt an. Ein dickes, schmutziges Weib neben dem Karren machte eine obszöne Geste und spuckte vor ihr aus.
    Manon stand wie erstarrt. Sie sah alles nur aus den Augenwinkeln. Ihr Blick hing wie gebannt an dem Mann auf dem hohen, blutverschmierten Karren. Er schob ihr Geld in einen Lederbeutel und sah sie dabei ernst, fast mitleidig an. „Gehen Sie nicht hinein, Mademoiselle“, rief er ihr warnend zu. „Man hat ihn eben gebracht.“
    Manon drehte sich um. Entsetzt lief sie durch den Vorgarten auf das Haus zu, während das Geschrei der Menge sie verfolgte. Sie blieb erst wieder stehen, als die Haustür dumpf hinter ihr ins Schloß fiel. Draußen brach plötzlich ein Platzregen los und trommelte gegen die Scheiben. Ein Blitz tauchte die düstere Halle vor ihr in grellblaues Licht. Über dem Kamin hing ein Bild in einem schweren Goldrahmen, das Porträt eines Mannes mit einem schwarzen Brustharnisch. Manon schrie leise auf und griff sich an den Hals, als sie das schwarze Loch in dem Gemälde sah. Es roch nach verbrannter Farbe. Jemand hatte mit einem glühenden Schürhaken den Kopf des Mannes aus dem Gemälde herausgeschnitten.
    Und dann sah Manon die umgestürzten Stühle, die zerschnittenen Polster und das Blut auf dem kostbaren Teppich. Eine schreckliche Angst überfiel sie, eine böse, schreckliche Ahnung.
    „Oh, Mademoiselle Regnard!“ rief eine erschrockene, helle Stimme von der Galerie herunter. „Man hat sein Versteck im Keller gefunden. O Gott, Mademoiselle!“ Die Stimme ging in verzweifeltes Schluchzen über.
    Manon Regnard hob den Kopf. Ein Mädchen kam weinend die Treppe zur Halle herunter. Manon hatte es noch nie gesehen. Sie wußte nicht, woher das Mädchen ihren Namen kannte. Es trug eine merkwürdig altmodische Kleidung – einen blaurot gestreiften langen Rock, ein eng geschnürtes Mieder und ein offenes Busentuch. Es war ein sehr hübsches Mädchen, aber leichenblaß, fast durchsichtig wie Porzellan. An dem rechten Ringfinger trug es einen Ring mit einem großen Achat.
    Das Mädchen machte einen Knicks vor ihr. „Sie kommen zu spät, Mademoiselle“, hauchte es, schlug dann beide Hände vors Gesicht und weinte hemmungslos.
    Manon blickte verwirrt auf den Nacken des Mädchens. Was sollte das alles bedeuten? Wieder plagte sie der bohrende Schmerz im Hinterkopf, der sie keinen klaren Gedanken fassen ließ. Draußen blitzte es jetzt fast ununterbrochen. Im Schein der Blitze erkannte sie eine frische Wunde am Hals des Mädchens. Jetzt wußte sie plötzlich, weshalb sie hierher gekommen war. „Wo ist er?“ flüsterte sie heiser.
    „Oben in der Bibliothek, Mademoiselle“, antwortete das Mädchen. „Man hat ihn – oh, gehen Sie nicht hinauf, Mademoiselle. Ich beschwöre Sie!“
    Das Mädchen klammerte sich an Manon. Doch diese schob es energisch zur Seite und eilte die Treppe hinauf. Ihr Herz hämmerte laut.
    Die Tür zur Bibliothek stand offen. Die Vorhänge vor der Balkontür waren zurückgezogen. Die große brennende Kerze neben dem Lehnstuhl flackerte in der Zugluft. Ein junger Mann saß in dem Lehnstuhl vor der offenen Balkontür, die Arme auf den Lehnen ausgestreckt. Seine schwarze Samtjacke war zerknittert, und Spinnweben klebten an den Ärmeln. Aber das Halstuch war makellos weiß und sorgfältig unter dem Kinn zusammengebunden.
    Manon fiel ein Stein vom Herzen. Dort saß Jean Dougnac, ihr Freund und Geliebter. Seinetwegen war sie heimlich nach Paris gekommen. Sie lachte befreit, fast hysterisch auf, warf ihren Koffer auf das Sofa vor den hohen Bücherregalen, breitete die Arme aus und lief auf ihn zu.
    Doch seine sonst so lustigen braunen Augen unter dem blonden Haar blickten sie todernst an. Betroffen blieb sie mitten im Zimmer stehen, als er warnend rief: „Komm nicht näher, Manon. Ich hatte dich doch so sehr gebeten, mir nicht nachzuspionieren. In deinem
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