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091 - Die Bräute des Henkers

091 - Die Bräute des Henkers

Titel: 091 - Die Bräute des Henkers
Autoren: Dämonenkiller
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wollte sie gleich den Geist aufgeben.
    „Hoffentlich kommen wir auch bis zu der Insel", sagte Coco besorgt, die neben Michel Latour auf der Brücke stand.
    Er winkte ab. „Die Maschine hat mich noch nie im Stich gelassen in den letzten dreiundzwanzig Jahren. Die paar kleinen Pannen konnte ich schnell reparieren."
    Um halb drei Uhr mittags sah Coco die Paradiesinsel am Horizont auftauchen, eine dunkle Landmasse mit ein paar Hügeln. Eine halbe Stunde später ließ Latour das vorspringende Kap der kleinen Insel seewärts liegen. Eigentlich hätte er auf der anderen Seite vorbeisteuern müssen, um den kleinen Hafen des Grafen de Calmont zu erreichen. Doch Charles-Henri de Calmont stellte nie Beobachtungsposten auf; er nahm keine Notiz von den Schiffen, die seine Insel passierten, und so würde Latours Abstecher auch nicht auffallen. Die Verspätung konnte Latour mit einer Maschinenpanne erklären. An der Südseite der Insel befand sich eine Steilküste. Aber ein paar Pfade führten hinauf, Pfade, die Latour gut kannte. Im Zweiten Weltkrieg hatte sich auf der Paradiesinsel ein Waffenlager der Resistance befunden, und Latour hatte für diese Widerstandsorganisation gearbeitet und Transportfahrten unternommen. Auch Flüchtlinge hatten damals auf der Paradiesinsel Zuflucht gesucht. Ein paar waren unter rätselhaften Umständen verschwunden.
    Einige hundert Meter von der Steilküste entfernt, warf Latour den Treibanker aus. Dann hievte er das Rettungsboot ins Wasser und ging mit Coco von Bord. Mit einem Ruder steuerte er das Boot auf die Steilküste zu. Jetzt, bei Ebbe, war keine starke Brandung zu beobachten.
    Coco staunte, wie gut Michel Latour, völlig auf sich allein gestellt, zurechtkam. Einen Matrosen oder einen Schiffsjungen wollte er auf seinem alten Kahn nicht haben, hatte er Coco gesagt.
    Latour war ein richtiger Seebär mit großen, schwieligen Händen und einem wettergegerbten, faltigen Gesicht. Er mußte die Anordnungen befolgen, die er in der Hypnose erhalten hatte. Aber als er Coco einen Rat gab, geschah das aus freiem Willen.
    „Ich weiß nicht, was Sie auf der Insel wollen", sagte er in seinem bretonischen Dialekt, „und es geht mich wohl auch nichts an. Aber nehmen Sie sich vor dem Grafen in acht! Er ist unberechenbar. Ich würde nicht unter seiner Herrschaft auf der Insel leben wollen."
    „Sie bringen ihm aber Lebensmittel und alles, was er sonst braucht", sagte Coco. „Damit unterstützen Sie ihn und sein Regime."
    „Wenn ich es nicht täte, täte es ein anderer", sagte Latour. „Die Leute auf der Insel nehmen seine Marotten hin, weil er sie gut bezahlt. Das ist ihre Sache. Und die Frauen, die zu ihm auf die Insel kommen, tun es auch nur für gutes Geld. Die meisten sind stark verschuldet oder einfach geldgierig. Aber Sie schätze ich anders ein, Mademoiselle. Deshalb warne ich Sie."
    Coco nickte.
    Das Boot hatte nun die Steilküste erreicht. Latour deutete auf eine Felsplattform.
    „Bis morgen also!" sagte er.
    Sie hatten an Bord alles besprochen. Coco nahm ihren Koffer - eine Tragetasche hatte sie umhängen - und sprang auf die Felsplatte am Fuß der Steilwand hinüber. Sie sah den Pfad, der nach oben führte.
    Latour winkte ihr zu. „Viel Glück, Mademoiselle!"
    Coco kletterte den Felspfad nach oben. Obwohl es kalt war und der Wind an ihren Haaren zauste, brach ihr der Schweiß aus. Oben angekommen, verschnaufte sie erst einmal. Latour hatte seine Barkasse erreicht und ging gerade an Bord.
    Coco konnte von der Steilklippe aus die Insel überblicken, das unwegsame Hügelgelände an der Nordspitze ausgenommen. Nicht allzuweit entfernt - etwa in einem Anderthalb-Stunden-Marsch zu erreichen - stand das Schloß des Grafen de Calmont. Es war ein großes prunkvolles Gebäude mit einem Haupt- und zwei U-förmig angebauten Nebenflügeln. Zwischen den Flügeln befand sich ein Garten. Das Schloß lag in einem Park. Der Graf hatte Bäume anpflanzen lassen, Eichen, Ulmen und Eschen, die um diese Jahreszeit kaum noch Laub trugen.
    Von dem Schloß, dem Park und dem Garten abgesehen, war die Insel ziemlich öde und felsig. Etliche Dutzend wilder Schafe streiften umher. Es gab vereinzelt Busch- und Baumgruppen, und im Westen befand sich ein Sumpfgelände mit hohem Schilf, Pinien und windzerzausten Ölbäumen.
    Die Insel wirkte unter dem düsteren Himmel bedrückend. Das Schloß erschien wie ein Fremdkörper, den böse Kräfte auf dieses öde Eiland gesetzt hatten. Coco wollte sich erst einmal in der Umgebung
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