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0885 - Die Kralle des Jaguars

0885 - Die Kralle des Jaguars

Titel: 0885 - Die Kralle des Jaguars
Autoren: Simon Borner
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keiner die Städte der großen Indianerkulturen Mittelamerikas erforscht, nur einige Skizzen der spanischen Mönche um Cortés fielen der Königlichen Geografischen Gesellschaft in London in die Hände. Ich wollte der Erste sein, der diese Stätten systematisch erforscht und bekam den Auftrag von Sir George Bellwood persönlich, sehr zum Ärger meiner amerikanischen Kollegen, John Lloyd Stephens und Frederick Catherwood, die ich dank der großzügigen Stiftung meines anonymen Geldgebers ausstechen konnte. Er war über den tschechischen Grafen Waldeck, der erst letztes Jahr in Honduras war, auf mich aufmerksam geworden. Nun, ihr Ärger ist begreiflich, aber ich war dank meines Mäzens einfach besser ausgestattet. Fairplay ist eine nette Idee, aber manchmal muss man solche Gedanken der Wissenschaft zuliebe hintanstellen. Die Vorbereitungen waren schnell getroffen, bald schon konnte ich auf dem Schoner HMS Enterprise, einem der modernsten Schiffe der Flotte Seiner Majestät, in See stechen.
    Voller Hoffnung kam ich über Kingston nach Puerto Cortés in Honduras, mit Empfehlungen für Unterkunft und Personal vor Ort von meinem Mäzen hervorragend ausgerüstet.
    Meine Pensionswirtin Madame Golden Rose, eine Mulattin von exotischem Aussehen, wirkte erst etwas unnahbar. Sie war eine sehr würdevolle und elegante Erscheinung, trotz der unglaublich großen goldenen Ohrringe und ihrem Turban, der sie hierzulande als Matrone und Respektsperson ausweist. Auch an ihr… für englische, respektive schottische Sitten doch recht ungewöhnliches Haustier einen ausgewachsenen dunklen Jaguar, musste ich mich erst gewöhnen. Im Laufe der Woche, als sie mich ein wenig beobachtet hatte, machte sie sich überraschenderweise erbötig, mich bei der Auswahl der Leute für meine Expedition zu unterstützen. Madame half mir ebenso, den von meinem Geldgeber empfohlenen Führer zu finden. Sein spanischer Name war Pedro, ein Allerweltsname, sein indianischer war sehr seltsam, er bedeutete so etwas wie Herz Jaguarkralle. Allein hätte ich ihn nie gefunden. Er schien mir zwar ein wenig dumm zu sein, aber da mir die für eine Eingeborene durchaus gebildete Madame Golden Rose versicherte, er sei in der Gegend, in die ich zu reisen wünschte, beheimatet, vertraute ich ihm die (rein geografische) Führung meiner Gruppe an. Außer mir gab es übrigens nur noch einen Europäer in unserer Expedition, meinen Sekretär: ein junger Deutscher namens Fritz Haberland. In den Wissenschaften sind die Deutschen ja sehr ambitioniert.
    Dank meines anonymen Geldgebers waren wir hervorragend ausgerüstet. Haberland und ich können gleichermaßen mit dem Astrolabium umgehen und somit genau festlegen, wohin unser Weg uns führte. Dank meiner Vermessungstechnik und Haberlands Begabung im Kartenzeichnen konnten wir während der Reise eine genaue Karte anfertigen. Ein Entdecker ist kein Entdecker, wenn er nicht genau nachweisen kann, wo er war, und keine Zeugen beibringt.
    Wir kamen gut voran. Auch wenn Pedro nach wie vor einen etwas dümmlichen Eindruck machte, führte er uns hervorragend durch den dichten Dschungel. Fritz Haberland, nicht nur ein sehr fähiger Assistent, sondern auch ein leidenschaftlicher Botaniker und Zeichner, entdeckte eine Menge ihm fremder Pflanzen und Insekten, und er konnte auch einige in botanischen Trommeln mitnehmen. Er freute sich bereits darauf, seine Proben dem Naturkundlichen Museum in London zu übergeben.
    Die Indios sahen das nicht gern. Sie bedachten Haberland mit scheelen Blicken, die ich zwar mit Drohungen, ihnen den Lohn zu kürzen, untersagte, aber es half nichts. Als ihr Anführer versuchte Pedro zu vermitteln und erklärte mir, worum es ihnen ging: Der »Raub« der Pflanzen ohne heidnische Gebete verärgere den Maisgott, den sie Yum Chak oder so ähnlich nennen. Ich versuchte, ihnen zu sagen, dass sie einem Aberglauben aufsitzen, aber das schien sie nicht zu beeindrucken. Dennoch hatte Pedro so viel Einfluss auf sie, dass sie trotz ihrer bösen Blicke auf Haberland Ruhe hielten und unser Expeditionsgepäck weiter trugen.
    Eines Tages dann war es soweit. Wir gingen an einer Anhöhe entlang, erst Pedro, dann Haberland und ich, schließlich unsere Träger. Da die Sonne bald untergehen würde, war ich dafür, uns einen Platz fürs Nachtlager zu suchen, aber Pedro sah mich mit einem eigentümlichen Ausdruck in den Augen an und gab mir zu verstehen, dass unser Ziel nahe sei. Er deutete auf die neben uns befindliche Anhöhe. Ich folgte
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