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0885 - Die Kralle des Jaguars

0885 - Die Kralle des Jaguars

Titel: 0885 - Die Kralle des Jaguars
Autoren: Simon Borner
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seinem Fingerzeig und machte mich mit ihm und Haberland auf den Weg, den Hügel vor uns zu erklimmen. Nicht einfach in der trotz des hereinbrechenden Abends beinahe unerträglichen Hitze, aber wir wurden mit dem Ausblick belohnt: Vor uns lag eine alte Mayastadt - Copán sei der Name, wie Pedro mir mitteilte. Der Name war mir bekannt, er wird in den Schriften der spanischen Mönche erwähnt, die diese Lande zusammen mit den Conquistadores eroberten und besiedelten. Juan Galindo, der spanische Offizier mit englischer Abstammung, veröffentlichte dann vor drei Jahren erneut einige Beobachtungen, die er selbst über die alte Kultur der Maya gemacht hatte.
    Der erste Anblick der Ruinen war unvergleichlich: Aus dem Urwald ragten imposante Gebäude aus Vulkangestein, die in der untergehenden Sonne rot leuchteten. Obwohl der Dschungel sich das Terrain in den letzten Jahrhunderten wiedererobert hatte, war die geometrische Anlage der Stadt noch erkennbar. Ich brannte darauf diese geheimnisvollen Tempel zu betreten, die Reliefs zu bewundern und zu kartografieren und genoss das narzisstische Gefühl, meinen Namen schon bald in den Geschichtsbüchern lesen zu können…
    ***
    Das Türenklappen schreckte ihn von diesem alten Text auf. Und das Erste, was Zamorra sah, als er von der Lektüre aufblickte, waren Einkaufstaschen. Viele Einkaufstaschen. Die Tür des Hotelzimmers, in welchem er und seine Partnerin Nicole Duval während ihres Aufenthalts in Mexico City untergebracht worden waren, war plötzlich aufgeflogen und hatte ihn aus der Lektüre von Connor McArdbegs Bericht gerissen. Die Taschen betraten den Raum, und hinter ihnen wurde Nicoles aktuell mal wieder blond gefärbter Haarschopf sichtbar.
    »Geschafft«, keuchte sie und ließ sich mitsamt ihren Tüten seufzend aufs Bett fallen. »Ich sag Dir eins, noch mal gehe ich bei dieser Hitze hier in Mexiko nicht shoppen. Was für eine Tortur!«
    Zamorra warf einen Blick auf den Berg von Taschen, die über den Fußboden und das breite Bett verstreut lagen, grinste und sparte sich jeglichen Kommentar. Sie bemerkte es gar nicht.
    »Lies ruhig weiter, Chérie. Ich will dich nicht stören.«
    »Kein Problem«, gab der Franzose zurück und vertiefte sich wieder in den Bericht. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Nicole aufstand, nach einer der Taschen griff und ihr eine kurze Hose in hellem Khaki entnahm, dann einer anderen ein kurzärmeliges Hemd aus grobem Leinen, wieder einer anderen Tüte einen Tropenhelm…
    »Was wird das denn?«, fragte er lauernd.
    »Was? Ach das hier, das ist Dschungelkleidung. Lies ruhig weiter.«
    »Dschungelkl… Für Mexico City?«
    Nicole sah ihn an, ließ die Tasche, die sie gerade hielt, achtlos auf den Boden fallen und kam zu dem kleinen Holztisch am Fenster, an dem Zamorra saß. Als wäre der Professor ein Kind, nahm sie seinen Kopf in ihre Hände und strich ihm sanft übers Haar. »Ich kenne dich, Chérie«, sagte sie leise. »Manchmal denke ich, dass ich dich sogar besser kenne als du selbst. Seitdem du mit diesem antiquierten Büchlein über irgendwelche Ruinen in Honduras hier aufgetaucht bist, ist mir klar, wo unsere Reise hingeht. Und da will ich natürlich passend gekleidet sein.«
    Ihr Lächeln war wie ein warmer Sonnenstrahl, und für einen Augenblick war Zamorra zu überrascht, um etwas Schlagfertiges zu erwidern. Ein Ausflug nach Honduras stand nun nicht gerade auf seinem Terminplan, auch wenn dieses Museumsstück, das Montejo ihm gegeben hatte, durchaus faszinierend war. Ehe er sich eine Antwort zurechtgelegt hatte, war seine Partnerin auch schon wieder mit ihren Taschen beschäftigt. Stück für Stück hielt sie sich die Einkäufe vor den Körper und betrachtete sich im Spiegel, der in der Tür des Kleiderschranks ihres gemeinsamen Hotelzimmers eingelassen war. Zamorra musste zugeben, dass Nicole wie schon so oft guten Geschmack bewiesen hatte. Was er sah, schien ihr vorzüglich zu stehen - und war durchaus figurbetont. Eben typisch Nicole. Schmunzelnd schüttelte er den Kopf und widmete sich wieder seinem Text. Manchmal musste man sie einfach gewähren lassen.
    Er kam nur wenige Zeilen weit, da hörte er das Rascheln von Textilien, die zu Boden sanken. Abermals blickte er von der Lektüre auf. Nicole war zum Anprobieren übergegangen, und hatte sich dazu ihrer Bluse entledigt. Sie hatte das gute Stück einfach da fallen lassen, wo sie stand - mit dem Rücken zu ihm vor dem Spiegel. »Lass dich nicht stören«, wiederholte sie betont
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