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083 - Das Ende der Unschuld

083 - Das Ende der Unschuld

Titel: 083 - Das Ende der Unschuld
Autoren: Jo Zybell
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Mutationen.« Obwohl er sich bemühte, möglichst cool rüberzukommen, konnte er doch nicht verhindern, dass seine Stimme leicht zitterte. Zu ungeheuerlich war diese Theorie.
    »Die große Frage ist jetzt: Leben die Kristalle, oder werden sie von irgendwem als Relaisstationen benutzt?«, fuhr Aiko fort, ohne aufzublicken. Er saß mit gekreuzten Beinen da und starrte nur seine nackten Füße an. Miss Hardy kniete hinter ihm und flocht ihm das pechschwarze Haar zu einem Zopf.
    Rulfan wirkte jetzt völlig in sich gekehrt. Und Dave glaubte zu wissen, woran er dachte. Er denkt an den Kristall zwischen den Türmen des Kölner Doms, wetten, Mickey? Er denkt an die schauderhaften Zombies, die in den Kellergewölben des Doms ihr Unwesen trieben…
    »Finden wir es heraus!« Matt schlug sich mit der Faust in die Handfläche. »Kommt, gehen wir zu Quart’ol. Er hat noch lange nicht alle Fragen beantwortet…«
    ***
    Wieder hatten die biotischen Einheiten erster Ordnung neue Berufene zur Bruthöhle gebracht. Den sechsundvierzigsten, den siebenundvierzigsten und den achtundvierzigsten. Nur einer fehlte noch. Ihre Auren berührten die Auren der anderen, die gleichen Fragen, die gleiche Sehnsucht, die gleiche Erregung. Bilder strömten dem Sol entgegen wie Lava aus einem Vulkan, wie Wasserfontänen aus einem Geysir. Zehn, elf oder mehr Auren berührten ihn gleichzeitig, jeder wollte Kontakt mit ihm aufnehmen.
    Die Erregung wuchs von Tag zu Tag. Jetzt, so kurz vor der Vollendung, fiel es keinem leicht, noch länger zu warten. O nein - wie unmündige Leq fieberten jetzt sogar die Sil, ja selbst die Lun dem Augenblick entgegen, an dem es geschehen würde. Und alle bestürmten sie den Sol mit den immer gleichen Fragen:
    (Werden wir Schmerzen empfinden, Ora’sol’guudo, wenn wir unsere Speichereinheiten verlassen?) Oder: (Was tun wir, wenn der neue Trägerorganismus sich gegen unsere ontologisch-mentale Substanz wehrt?) Oder: (Wird es so sein wie einst unter dem Doppelgestirn?
    Werden wir wieder durch Lavaströme ziehen?) Oder: (Wie lange noch, Ora’sol’guudo? Wie lange wird es noch dauern, bis die Brutzellen platzen?) Und immer wieder die drängendste aller Fragen: (Wie sieht er aus, Ora’sol’guudo? Zeig ihn uns, zeig ihn uns noch einmal!) Sie konnten den Entwurf nicht oft genug sehen. Aber war das nicht verständlich?
    Sie steckten ihn an mit ihrer Erregung, mit ihrer Ungeduld und Neugier. Natürlich steckten sie ihn an - konnte doch der Sol selbst es kaum noch erwarten, und wünschte er doch manchmal zu den Neunundvierzig zu gehören, die er berufen hatte.
    Dennoch zog er sich oft unter dem Ansturm ihrer Fragen in die Tiefen seiner Speichereinheit zurück. Er durfte sich nicht gehen lassen - er war der Sol, er musste führen. Und vor allem: Er hatte eine Aufgabe. Eine Aufgabe, die ihn einsam machte.
    Ob er gelang, der letzte Schritt zum Ziel, hing von ihm ab; ganz allein von ihm.
    Seine Aufgabe: Der Kontakt mit der Bruteinheit und die Kontrolle der biotischen Substanz, die in den Brutzellen keimte. Die Brutzellen bedeckten ihn, und die Bruteinheit bedeckte die Brutzellen. Ganz nahe war er beiden. Und trotzdem kostete ihn seine Aufgabe fast siebzig Prozent der gesamten Konzentrationskapazität seiner ontologisch-mentalen Substanz.
    Oft, fast immer eigentlich strömte sein Bewusstsein durch die Nervenbahnen der Bruteinheit, sprang von Synapse zu Synapse, füllte die Sensoren, tastete die Keimlinge in den neunundvierzig Brutzellen ab. Keine Zellteilung, die er nicht registrierte und mit der gespeicherten Pilotmatrize abglich.
    Keine Eiweißsynthese, die ihm entging, keine neuronale Verknüpfung, die er nicht überprüfte und gegebenenfalls korrigierte.
    Er war der Sol. Von seiner mentalen Präsenz hing er ab, der letzte Schritt in die Zukunft seiner Rasse, allein von seiner Kraft.
    Über fünfhundert Gestirnumkreisungen, unzählige Experimente und Mutationen hatte es gedauert, bis der Bauplan endlich vollendet war - eine Zeit, die von Rückschlägen und Inkompatibilität geprägt gewesen war. Der ursprüngliche Plan, die vorherrschende Rasse dieses Planeten zu übernehmen, war schnell gescheitert: deren Gehirne konnten die komplexen daa’murischen Denkmuster nicht verarbeiten. Ein Neuaufbau war versucht worden, aber fehlgeschlagen: Selbst die Rückbildung auf ein primitives Niveau und die folgende Umstrukturierung hatten die Hirne nicht aufnahmebereiter gemacht. Also musste durch fortwährende Mutation eine neue Grundstruktur
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