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083 - Das Ende der Unschuld

083 - Das Ende der Unschuld

Titel: 083 - Das Ende der Unschuld
Autoren: Jo Zybell
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aus noch primitiveren, tierischen Gehirnen geschaffen werden.
    Das Ergebnis aller Mühen und der vorletzte Schritt auf dem Weg war das biotische Muttermodell. Es war fast genauso unruhig wie die siebenundvierzig schon eingetroffenen Berufenen. Es fauchte oder winselte, tänzelte um die Brutzellen herum, aus denen bald die endgültigen Modelle schlüpfen würden. Es beschnupperte sie oder drückte die am Rande Liegenden von Zeit zu Zeit tiefer unter die heiße Bruteinheit.
    Obwohl das gar nicht nötig war: Der Sol selbst spürte es sofort, wenn eine Brutzelle den Kontakt mit der Einheit verlor.
    Ein einziger Gedanke reichte, und die heiße Masse schob sich wieder über die betreffende Brutzelle.
    Und immer wieder stapfte das Muttermodell zum Ausgang, schnüffelte, spähte über den See. Wenn es dunkel wurde oder wenn das Gestirn des Zielplaneten aufging, verkroch es sich in die seitlichen Abschnitte der Bruthöhle und stillte seinen Hunger.
    Die Kontrolle über das biotische Modell kostete den Sol nicht viel Kraft. Seine eigenen Instinkte steuerten es reibungslos. Doch von Zeit zu Zeit musste Ora’sol’guudo es beruhigen. Dann sandte er ihm wohlige Bilder und Empfindungen von Sicherheit und Sättigung oder umhüllte es mit seiner Kraft und Zuversicht.
    Meistens kauerte es sich dann ins Gestein neben der Bruteinheit und schlief ein.
    Hin und wieder aber gab Ora’sol’guudo dem Ansturm der Fragen nach. In der Regel nach einer Kontrollphase. Die Berufenen brauchten die immer gleichen Antworten, brauchten die Bilder ihrer Zukunft, mussten immer wieder sehen, was sie sein würden. Sie brauchten die Vision. Das gehörte unabdingbar zur Vorbereitung auf den letzten Schritt.
    Und er war der Sol, er musste führen. Wie nötig er selbst die Bilder und Antworten brauchte, gestand er nur sich selbst ein.
    Immer wenn die Auren der Berufenen gar zu hitzig pulsierten und ihre Fragen überhaupt nicht mehr verstummen wollten, stellte er sich ihnen.
    So wie jetzt.
    (Wie lange noch, Ora’sol’guudo, bis die Brutzellen platzen?) Der Gedankenstrom jener besonders ungeduldigen Lan aus der symbiotischen Einheit der Liob. Bis ins Zentrum seiner Speichereinheit verfolgte sie ihn manchmal mit ihren Berührungen.
    (Bald, Liob’lan’taraasis, sehr bald. Nicht einmal den vierten Teil einer Gestirnumkreisung wird es mehr dauern.) Ein Lun aus der symbiotischen Einheit der Grao bedrängte ihn jetzt. (Ich will ihn sehen, Ora’sol’guudo, wir alle wollen ihn sehen. Zeige ihn uns erneut, ich beschwöre dich!) Unter allen neunundvierzig Führern der neunundvierzig symbiotischen Verbände, unter allen Lun also war Grao’lun’kaan der mächtigste. Darum hatte Ora’sol’guudo ihn mit sechs anderen Lun für den großen Schritt ausgewählt.
    Meist wahrte Grao’lun’kaan Würde, verhielt sich geduldig, berührte den Sol seltener als die meisten anderen. Wenn er sich aber Wort meldete, wenn aus seiner Aura Bilder und Empfindungen strömten, dann musste die Spannung ein unerträgliches Maß erreicht haben. Deshalb gab Ora’sol’guudo seinen Bitten und Fragen sofort nach.
    (Du hast Recht, Grao’lun’kaan. Vereinigt eure Auren aufs Neue und seht, was ihr sein werdet - ich will ihn euch ein weiteres Mal zeigen…)
    Und langsam entstand es wieder am Rande seiner Aura, das Bild jener biotischen Einheit, die in den Brutzellen reifte und den letzten Schritt zum Ziel verkörperte. Das Bild einer glorreichen Zukunft…
    ***
    Seine Hände und Füße suchten Halt im schroffen Gestein.
    Stück für Stück schob er sich den steilen Felstunnel hinauf, immer weiter, immer weiter. Irgendwo dort oben musste es einen Weg in die Freiheit geben. Irgendwo dort oben musste das Grauen ein Ende haben.
    »Bleib doch hier«, krächzte eine Stimme unter ihm aus der Dunkelheit. »Es hat keinen Sinn, lass es einfach.« Die anderen hatten es aufgegeben, den schmalen Felskamin hinaufzuklettern. Nur Birgel’wost nicht. Birgel’wost war der Hartnäckigste von allen, er wollte es einfach nicht glauben.
    Also versuchte er aus der Grotte in den Kamin einzusteigen, wieder und wieder versuchte er es. Immer wenn das Tier sich zurückgezogen hatte.
    Seine Schulter scheuerte über das Gestein, er stieß sich das Knie wund. Weiter! Er musste sich beeilen, viel Zeit blieb nicht mehr. Schon glaubte er einen schwachen Lichtschimmer am Ende des Kamins zu sehen. Kaum noch Zeit, es blieb kaum noch Zeit.
    Zwei Mal am Tag kroch das Tier den Kamin herunter.
    Immer bevor der Lichtschimmer
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