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08-Die Abschussliste

08-Die Abschussliste

Titel: 08-Die Abschussliste
Autoren: Lee Child
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noch? Schossen zwanzig Panzer sich aufs selbe Ziel ein, würde es nicht lange dauern, bis sie einen Menschen trafen. Dafür würde die statistische Wahrscheinlichkeit sorgen. Und von einer Panzergranate getroffen zu werden, war bestimmt kein Spaß. Ein Fehltreffer wäre ebenso verheerend gewesen. Ein fünfundzwanzig Kilo schwerer Metallklumpen, der das Humvee traf, hinter dem ich in Deckung lag, würde es in rasend schnelle Metallsplitter zerlegen, die rasiermesserscharf waren. Selbst ohne Sprengladung würde allein die kinetische Energie dafür sorgen, dass das passierte. Der Effekt würde sich kaum von einer in meiner Nähe detonierenden Sprenggranate unterscheiden.
    Ich hörte einen doppelten Schussknall irgendwo nordwestlich von mir. Halblaute, dumpfe Geräusche. Zwei Panzerkanonen, die fast gleichzeitig schossen. Aus größerer Nähe als zuvor. Dann heulten die Granaten heran. Eine ging über mich hinweg, aber die andere kam flach heran und traf genau die Breitseite des Sheridans. Sie durchschlug die dünne Panzerung wie eine Pistolenkugel eine Bierdose. Hätte Oberstleutnant Simon das gesehen, hätte er seine Zukunftsplanung vielleicht umgestellt.
    Weitere Panzerkanonen schossen. Nach wie vor erfolgten keine Detonationen, aber das brutale metallische Krachen kam mir fast noch schlimmer, ja geradezu urweltlich vor. Granaten heulten heran. Dann erzitterte die Erde, als sie sich in den Sand bohrten. Immer wieder prallte Metall auf Metall, als kreuzten
zwei Riesen aus grauer Vorzeit die Klingen. Große Wrackteile des Sheridans flogen sich überschlagend weg. Die Luft war erfüllt von Staub, sodass ich husten musste. Marshall hielt sich weiter in der Hütte auf. Ich blieb tief geduckt und zielte mit der Beretta aufs Niemandsland. Wartete. Zwang meine Hand dazu, nicht zu zittern. Starrte verzweifelt das Gelände zwischen der Hütte und meinem Humvee an. Ich verstand Marshall nicht. Er musste wissen, dass er nicht mehr viel länger warten durfte. Er hatte einen Hagel aus Metall über uns hereinbrechen lassen. Mein Humvee konnte jeden Augenblick getroffen und damit seine einzige Fluchtmöglichkeit zerstört werden. Oder die Hütte bekam einen Volltreffer ab und stürzte über ihm ein. Marshall würde in den Trümmern begraben werden. Eine dieser beiden Möglichkeiten musste eintreten. Das konnte sich jeder ausrechnen. Warum zum Teufel wartet er also noch?
    Ich richtete mich kniend auf und starrte auf die Hütte.
    Ich wusste plötzlich, warum.
    Selbstmord.
    Ich hatte ihm angeboten, Selbstmord zu begehen, indem er sich von einem Cop erschießen ließ, aber er hatte sich bereits für einen Suizid durch Panzer entschieden. Er hatte mich kommen sehen und erraten, wer ich war. Wie Vassell und Coomer wartete er darauf, verhaftet zu werden.
    Er ist erledigt, aber er will dich mitreißen.
    Ich konnte die Panzer jetzt ziemlich nahe hören. Nicht weiter als acht- bis neunhundert Meter entfernt. Sie waren noch immer schnell unterwegs und würden fächerförmig ausschwärmen, wie’s im Taktikhandbuch stand, einen weiten beweglichen Halbkreis bilden, in dem ihre Kanonen wie Radspeichen zur Nabe zeigten.
    Ich ließ mich zurücksinken und starrte auf mein Humvee. Spurtete ich jedoch darauf zu, würde Marshall mich aus der Hütte erschießen. Das stand außer Zweifel. Der fünfundzwanzig Meter breite deckungslose Streifen musste ihm ebenso einladend erscheinen wie mir.

    Ich wartete.
    Als ich den Abschussknall einer Kanone und das Heranheulen einer Granate hörte, sprang ich auf und spurtete in Gegenrichtung davon. Ich vernahm einen weiteren Abschussknall und ein weiteres Heulen. Die erste Granate traf den Sheridan und warf ihn ganz um, die zweite erwischte Marshalls Humvee und demolierte es restlos. Ich tauchte hinter die Nordecke der Hütte ab, wälzte mich an den Mauersockel und hörte über mir Metallsplitter gegen die Hohlblocksteine prasseln, als der alte Sheridan mit schrillem Kreischen zerplatzte.
    Die Panzer kamen noch näher. Ich hörte, wie ihre Gasturbinen mal lauter, mal schwächer heulten, während sie Bodenwellen überwanden und durch kleine Senken fuhren, wie die Kettenstollen an die Laufwerksabdeckungen prasselten. Ich hörte sogar die Hydraulik surren, als sie ihre Kanonen schwenkten.
    Ich kam auf die Beine, richtete mich gerade auf. Wischte mir Staub aus den Augen. Trat an die eiserne Tür. Sah den Krater, den meine Pistolenkugel hinterlassen hatte. Ich wusste, dass Marshall am Südfenster stehen würde, um mich
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