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08-Die Abschussliste

08-Die Abschussliste

Titel: 08-Die Abschussliste
Autoren: Lee Child
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Unfälle, Selbstmorde, Herzinfarkt, Krebs, Gehirnschlag, Lungenleiden, Leberversagen, Nierenversagen. Wie die Todesfälle in Detroit oder Dallas. Also brauchte ich nicht hinauszufahren. Ich bin ein Cop, kein Leichenbeschauer.
    Der Minutenzeiger bewegte sich wieder. Er sprang vor, zitterte ein wenig und kam zum Stehen. Drei Minuten nach Mitternacht. Das Telefon klingelte erneut. Diesmal wollte mir jemand ein gutes neues Jahr wünschen: die Sergeantin draußen im Vorzimmer.
    »Gutes neues Jahr«, sagte sie.

    »Gleichfalls«, sagte ich. »Sie konnten nicht aufstehen und den Kopf zur Tür reinstecken?«
    »Sie konnten Ihren nicht zur Tür raus strecken?«
    »Ich war am Telefon.«
    »Wer hat angerufen?«
    »Niemand«, sagte ich. »Nur irgendein GI, der’s nicht bis ins neue Jahrzehnt geschafft hat.«
    »Wollen Sie einen Kaffee?«
    »Klar«, sagte ich. »Warum nicht?«
    Ich legte wieder auf. Zu diesem Zeitpunkt war ich über sechs Jahre bei der Army, und der Kaffee, den es dort gab, war mit einer der Gründe, weshalb ich gern dabeiblieb. Er war der beste der Welt, keine Frage. Dasselbe galt für die Sergeanten. Die Sergeantin in meinem Vorzimmer stammte aus Nordgeorgia, irgendwo aus den Bergen. Ich kannte sie seit zwei Tagen. Sie wohnte außerhalb des Stützpunkts in einer Wohnwagensiedlung und hatte einen kleinen Jungen, der noch ein Baby war. Ich wusste alles über ihn. Einen Ehemann schien es nicht zu geben. Sie bestand nur aus Haut und Knochen und war zäh wie Büffelleder, aber sie mochte mich, denn sie brachte mir Kaffee. Mögen sie einen nicht, bekommt man keinen. Stattdessen fallen sie einem in den Rücken. Die Tür öffnete sich, und sie betrat mit zwei Kaffeebechern - einen für sie, einen für mich - den Raum.
    »Gutes neues Jahr«, wiederholte ich.
    Sie stellte beide Becher auf meinen Schreibtisch.
    »Wird’s denn gut?«, wollte sie wissen.
    »Sehe nichts, was dagegen spricht«, entgegnete ich.
    »Die Berliner Mauer ist praktisch gefallen. Das haben sie im Fernsehen gezeigt. Dort drüben findet eine Riesenparty statt.«
    »Freut mich, dass irgendwo gefeiert wird.«
    »Massenhaft Menschen. Ein Volksauflauf. Alle haben gesungen und getanzt.«
    »Ich hab keine Nachrichten gesehen.«
    »Das war schon vor sechs Stunden. Wegen desZeitunterschieds.«

    »Wahrscheinlich feiern sie noch immer.«
    »Sie hatten Vorschlaghämmer.«
    »Die dürfen sie haben. Ihre Hälfte ist eine freie Stadt. Wir haben fünfundvierzig Jahre dafür gesorgt, dass sie das bleibt.«
    »Wenn’s so weitergeht, haben wir bald keinen Feind mehr.«
    Ich kostete den Kaffee. Heiß, schwarz, der beste Kaffee der Welt.
    »Wir haben gesiegt«, sagte ich. »Ist das nicht eigentlich eine gute Sache?«
    »Nicht wenn man auf Onkel Sams Gehaltsscheck angewiesen ist.«
    Sie trug wie ich einen Kampfanzug mit dem Standard-Tarnmuster »Waldland«. Ihre Ärmel waren ordentlich aufgerollt. Ihre MP-Armbinde saß genau waagerecht. Ich vermutete, dass sie von hinten unsichtbar mit einer Sicherheitsnadel befestigt war. Ihre Stiefel glänzten.
    »Haben Sie einen Wüstentarnanzug?«, fragte ich sie.
    »Bin nie in der Wüste gewesen«, antwortete sie.
    »Sie haben das Muster geändert. Jetzt hat es große braune Flecken. Fünf Jahre Forschungsarbeit. Bei der Infanterie heißen sie Schokoladenchips. Das neue Muster taugt nichts. Sie werden wieder das vorige einführen müssen. Aber es wird weitere fünf Jahre dauern, bis sie das kapieren.«
    »Und?«
    »Brauchen sie fünf Jahre, um ein Tarnmuster zu ändern, hat Ihr Junge sein Collegestudium abgeschlossen, bevor sie darauf kommen, die Streitkräfte zu verringern. Machen Sie sich also deswegen keine Sorgen.«
    »Okay«, sagte sie, ohne mir zu glauben. »Finden Sie, dass er das Zeug fürs College hat?«
    »Ich hab ihn nie gesehen.«
    Sie schwieg.
    »Die Army hasst Veränderungen«, sagte ich. »Und wir werden immer Feinde haben.«
    Das Telefon klingelte wieder. Sie beugte sich nach vorn und
nahm an meiner Stelle ab. Hörte eine Weile zu und hielt mir dann den Hörer hin.
    »Oberst Garber, Sir«, sagte sie. »Er ist in Washington.«
    Sie nahm ihren Kaffeebecher und ging hinaus. Oberst Garber war mein Boss, ein netter Kerl, aber dass er am Neujahrstag acht Minuten nach Mitternacht anrief, nur um Smalltalk zu machen, konnte ich mir nicht vorstellen. Das war nicht sein Stil. Manche Vorgesetzten machen das. Sie tun an hohen Feiertagen scheißfreundlich, als wären sie tatsächlich nur einer der Jungs. Aber Leon Garber wäre
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