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078 - Im Netz der Lüge

078 - Im Netz der Lüge

Titel: 078 - Im Netz der Lüge
Autoren: Claudia Kern
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Lynne auf Smythe einreden, ihm klar machen, dass sie jemanden brauchen, der die Barbaren versteht und neue Sprachen mit solcher Leichtigkeit erlernt. Er sieht die Mündung des Drillers. Eine Minute oder eine Ewigkeit verstreicht, dann senkt Smythe die Waffe und starrt ihn aus zuschwellenden Augen an. Jed zuckt unter dem Hass in seinem Blick zusammen, aber zum ersten Mal in seinem Leben sieht er nicht weg, sondern starrt zurück, bis Smythe sich abwendet.
    Jed Stuart zog die Kerze näher an sein Tagebuch heran. Das Licht der Flamme flackerte über die Seiten und warf bizarre, tanzende Schatten auf die Zeltwand. Neben ihm seufzte Majela leise im Schlaf. Unter dem viel zu großen Fell waren nur ein paar Rastalocken und ein Stück ihres dunklen Halses zu sehen. Er hatte sie gerettet in dieser Nacht, hatte sich einem ganzen Kannibalenstamm entgegen gestellt, um sie zu befreien. Das Erlebte hatte ihn grundlegend verändert, das war Jed längst klar geworden.
    Ich habe immer noch Angst , dachte er, den Blick auf Majela gerichtet,
    mehr als je zuvor.
    Monatelang war er jeden Morgen mit der Angst erwacht, den Abend nicht mehr zu erleben. Jetzt erwachte er jeden Morgen mit der Angst, sie könne den Abend nicht mehr erleben. Er wusste, dass er seinen Beschützerinstinkt übertrieb und sie einengte, aber die Furcht, Majela ein weiteres, endgültiges Mal zu verlieren, war allgegenwärtig.
    Er konnte einfach nicht aus seiner Haut.
    Jed rief seine Gedanken zur Ordnung und setzte den Stift wieder an.
    Aber ich wollte nicht über Lynne schreiben, sondern über Stalin. Ungefähr eine Woche, bevor wir den Kratersee erreichten, begegnete uns ein Viehhändler mit einer Herde von großen zottigen Tieren, der er als Yakks bezeichnete.
    Er bemerkte die Probleme, die wir mit den Panzern hatten, und bot uns geschäftstüchtig seine Herde an.
    Sie graste auf einer nahe gelegenen Lichtung, und die Tiere wirkten gutmütig und sanft.
    Auf die meisten traf diese Einschätzung auch zu.
    Bevor ich fortfahre, muss ich eines klarstellen. Bis zu dieser Reise habe ich fast mein ganzes Leben in einem Bunker in Washington verbracht. Bücher waren meine Freunde und Lehrmeister.
    Sie brachten mir alles bei, was ich je zu benötigen glaubte. Dazu zählten Sprachen und Geschichte, das Wissen über Kulturen und Zivilisationen, ob vergan-
    gen oder gegenwärtig. Nur das Wissen über Tiere gehörte nicht dazu. Das erklärt vielleicht meinen Irrtum.
    Der Viehhändler überredete Lynne, ihm einen Großteil der Herde abzukaufen, und jeder von uns durfte sich ein Tier aussuchen. Während Pieroo und andere Gebiss und Hufe der Tiere untersuchten und sogar die WCA-Soldaten gewisse Kenntnisse zeigten, war ich ratlos - und zu stolz, das zuzugeben.
    Ich sah mich um und entdeckte schließlich ein Tier, das am Rande der Lichtung stand, weit weg vom Rest der Herde. Es wirkte einsam, erschien mir wie ein verstoßener Außenseiter, und ich fühlte so etwas wie Seelenverwandtschaft zu ihm (ich Trottel!). Also entschied ich mich für dieses Yakk, ein Entschluss, der von dem Viehhändler übrigens mit deutlichem Enthusiasmus begrüßt wurde. Allein das hätte mich misstrauisch machen müssen.
    Zwei Tage ging alles gut. Das Yakk reagierte auf meine ungeschickten Kommandos und trabte gutmütig hinter den anderen Tieren her, die jedoch immer noch einen großen Abstand zu ihm hielten. Aus gutem Grund, wie sich am Morgen des dritten Tages herausstellte.
    Es war der Tag, an dem das Yakk seinen Namen erhielt und an dem es zum ersten Mal versuchte, mich umzubringen.
    Normalerweise wache ich noch vor Tagesanbruch auf und nutze die Ruhe, um in mein Tagebuch zu schreiben, doch an diesem Morgen verschlief ich.
    Majela weckte mich schließlich, als der Aufbruch nahte. Ich war noch nicht ganz wach, als ich dem Yakk das Zaumzeug anlegen wollte und es plötzlich den Kopf drehte. Seine Lippen waren hochgezogen, sein breites Maul aufgerissen. Ich wollte zurückspringen, doch seine Zähne schlossen sich um den Fellmantel, den ich übergezogen hatte. Es riss daran, schüttelte meinen Arm. Seine Kiefermuskeln wölbten sich unter dem Fell hervor. Etwas knirschte, und ich begriff, dass es das Zaumzeug war, das zwischen seinen Zähnen zermalmt wurde. Erst als es mir gelang, den Mantel abzustreifen, ließ das Yakk los und spuckte seine Beute aus. Es grunzte, war sichtlich enttäuscht, dass es mir nicht den Arm abgerissen hatte.
    In seinen tückischen, wasserblauen Augen lag etwas Psychopathisches.
    Bis
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