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078 - Im Netz der Lüge

078 - Im Netz der Lüge

Titel: 078 - Im Netz der Lüge
Autoren: Claudia Kern
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gewählt.
    Sie löste sich aus den Schatten der Zelte und schlich an den beiden Panzern vorbei, die den Eingang des Lagers flankierten. Seit die Expedition vor einigen Monaten auf kriegerische Kannibalen gestoßen war, hatte Captain Crow doppelte Bewachung angeordnet, und so patrouillierten auch jetzt zwei Männer am Ufer entlang. Helena hörte das Knirschen der Kiesel unter ihren Stiefeln. Sie schlug einen Bogen, der am Lagerfeuer vorbei führte, um ihnen nicht zu begegnen. Das Skalpell lag warm in ihrer Hand.
    Die geschwärzten Holzstämme des Feuers schienen ihr mit rotglühenden Augen nachzustarren, als Helena es hinter sich ließ und an den letzten Bäumen vorbei auf das Seeufer zuging.
    »Whadda…«
    Die Stimme war rau und dunkel.
    Eine Hand schloss sich um ihren nackten Arm. Helena fuhr herum, holte mit der freien Hand aus und zog das Skalpell mit einer lässig wirkenden Bewegung an der dunklen Gestalt vorbei. Sie spürte einen Bart, der über ihren Handrücken strich, dann den Widerstand, als Muskeln, Sehnen und mit einem knirschenden Geräusch der Kehlkopf des Mannes von der Klinge durchtrennt wurden.
    Die Finger lösten sich von ihrem Arm. Heißes Blut schoss Helena entgegen, spritzte über ihren Körper. Der Mann brach mit einem Röcheln in die Knie. Im zurückkehrenden Mondlicht wirkten Bart und Gesicht grau. Seine Hände griffen nach dem Schnitt in seinem Hals, pressten sich darauf in einem letzten verzweifelten Versuch, das Ende aufzuhalten. Helena sah den dreckigen Gipsverband an einer Hand und dachte an das Gesicht des jungen Barbaren, der sich vor zehn Tagen beim Holzfällen den Daumen gebrochen hatte. Es war ein nettes Gesicht gewesen, voller Abenteuerlust und Neugier. Jetzt war es so verzerrt, dass sie es kaum noch erkennen konnte.
    Helena wandte sich ab. Sie wusste, dass sein Leben nicht das einzige war, das in dieser Nacht ein Ende finden würde, aber im Gegensatz zu ihm hatte
    sie ihre Aufgabe fast vollendet. Stolz und Zufriedenheit erfüllten sie, wenn sie daran dachte.
    Hinter ihr schlug der sterbende Körper ins Gras. Helena ließ ihn zurück, beschleunigte ihre Schritte in der Furcht, jemand könne den Mord bemerkt haben. Sie spürte Sand und Steine unter ihren Füßen, dann die ersten Wellen, die ihre Knöchel umspülten.
    Der See lag vor ihr, eine schwarze Fläche, so endlos wie der Himmel, mit dem er sich am Horizont verband.
    Helena betrat die Schwärze, ging Schritt für Schritt tiefer hinein. Das Wasser war lauwarm; irgendetwas musste den See erwärmen. Vielleicht der Komet in seinem Zentrum. Algen bedeckten die Steine, und mehr als einmal glitt Helena darauf aus, bis endlich der Boden unter ihr verschwand und sie zu schwimmen begann.
    Als die leuchtend grünen Kristallsplitter vor ihr auftauchten, fühlte Helena keine Angst, nur tiefe Befriedigung, am Ziel angekommen zu sein.
    Sie sah in die Augen der Rochen, die mit ihren breiten Flossen durch das Wasser zu schweben schienen und sie wie eine Eskorte umgaben. Einer von ihnen schwamm näher heran. Wellen schwappten über Helena hinweg. Sie schluckte Wasser und hustete.
    Die Flosse des Rochens legte sich auf ihren Kopf, drückte sie nach unten.
    Wellen schlugen über ihr zusammen.
    Ihre Hände stießen gegen kühle raue Haut und unnachgiebige Muskeln. Immer tiefer wurde sie heruntergezogen, hinein in die lichtlose Finsternis des Kratersees.
    Helena fürchtete sich nicht. Die Rochen berührten sie jetzt von allen Seiten, und aus irgendeinem Grund, den sie selbst nicht verstand, konnte sie trotz des Wassers atmen. Eine Art Luftblase schien sie zu umgeben. Ein Geruch nach Salz und Fisch lag auf ihrer Zunge.
    Sie hatte die Augen geschlossen, aber das grüne Leuchten drang taghell an ihre Pupillen. Helena spürte die Strahlen wie Finger in ihrem Gehirn.
    Sie berührten, untersuchten und verschoben, bis sie schließlich einen Bereich entdeckten, der seit vielen Monaten verschlossen war. Mühelos bohrten sich die Finger hinein - und Helena
    sah :
    Er ist ein kleiner Junge, gerade mal neun Jahre alt. Seine Knöchel sind blutig, aber er schlägt weiter auf Frankie ein. Frankie wird nach diesem Nachmittag auf einem Auge blind sein. Es ist seine eigene Schuld, denkt der kleine Junge, den alle Jazz nennen. Frankie hätte ihn nicht herausfordern dürfen, nicht hier auf dem Schulhof, wo ihn jeder respektieren muss. Darum kämpft er Tag für Tag. Es geht um Respekt.
    Er ist fünfzehn Jahre alt und schlecht in der Schule. Er will zur Armee, aber die
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