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0775 - Haus der Toten

0775 - Haus der Toten

Titel: 0775 - Haus der Toten
Autoren: Christian Constantin
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dran war.
    Möglicherweise brauchte man hin und wieder eine kleine Mutprobe, um sich daran zu erinnern, dass man kein hilfloses Kind mehr war, dessen Welt voller unbekannter Gefahren steckt. Dass sie tun und lassen konnte, was sie wollte, und vor nichts Angst haben musste - am allerwenigsten vor einer morschen alten Bruchbude, in der vor mehr als hundert Jahren mal jemand umgebracht worden war.
    »Wartet auf mich!«, rief sie und lief den Jungs hinterher Als die beiden sahen, dass sie auf sie zurannte, lachten sie und fingen ebenfalls an zu laufen. Als sie schließlich an dem Geisterhaus ankamen, waren alle drei außer Atem. Während Jack und Jenny noch keuchten, schaute sich David, der mit Abstand der sportlichste von ihnen war, bereits um.
    »Hier ist ein Schild«, sagte er. »Betreten wegen Einsturzgefahr verboten.«
    »Von wegen!«, stieß David zwischen abgehackten Atemzügen hervor. »Das schreiben die nur dran, um die Vandalen und Randalierer fernzuhalten. Die Stadtverwaltung hofft immer noch darauf, dass sie das Geld zusammenbekommt, um aus dem Ding ein Museum oder so was zu machen.«
    »Schwachsinnige Idee«, brummte David. »Es gibt niemanden in der Stadt, der das Haus nicht am liebsten dem Erdboden gleich machen würde. Da spendet keine Sau was für.«
    »Trotzdem«, meinte Jenny, »wer weiß, ob das Gebäude wirklich sicher ist? Ich habe keine Lust, da irgendwo einzukrachen und im Keller festzusitzen.«
    »Scheiß drauf«, sagte Jack und betrat vorsichtig die Treppe, die zur Eingangstür führte. »No risk, no fun. — Scheint sicher zu sein«, kommentierte er, nachdem er ein paar Schritte darauf gemacht hatte. Die Tür selbst war offen und gab ein leises Knarren von sich, als sie im Wind hin und her schwang.
    »Dann wollen wir mal«, sagte er zu sich selbst, stieß mit einer raschen Bewegung die Tür auf und richtete seine Taschenlampe auf die Öffnung.
    Im Innern des Hauses befand sich ein geräumiger Eingangsbereich, von dem auf der rechten Seite eine Treppe nach oben führte. Auf der linken Seite waren zwei Türen und eine weitere auf der rechten Seite des Raumes. Der Lichtkreis der Taschenlampe wanderte langsam über den Dielenboden, der bis auf eine zentimeterdicke Staubschicht und haufenweise Spinnweben völlig leer war.
    »Und?«, rief David von draußen. »Was kannst du sehen?«
    »So ziemlich gar nichts«, antwortete Jack laut. »Jedenfalls sieht der Boden stabil aus!«
    Zur Probe setzte er einen Fuß in den Raum und verlagerte sein Gewicht darauf. Der Boden machte nicht einmal ein Geräusch. Er ging ein paar Schritte in den Raum hinein und sprang ein paar Mal auf und ab. Der Boden zeigte keine Reaktion.
    »Okay«, rief er den anderen zu, »ihr könnt hochkommen! Hier ist alles sicher.«
    Er setzte den CD-Player ab und positionierte die Taschenlampe so, dass sie die Decke anstrahlte und der ganze Raum einigermaßen erleuchtet war. Dann setzte er sich im Schneidersitz auf den Boden und machte sich daran, den Joint zu drehen.
    Hätte er in diesem Moment zur Decke gesehen, hätte er dort vielleicht eine leichte Bewegung bemerkt, die über ihre Oberfläche ging. Eine Art Welle, die vom Zentrum der Decke ausging und sich kreisförmig zu den Seiten hinzog. Als wäre die Decke des Raumes mit etwas überzogen, das irgendwie lebendig war und dem Licht entkommen wollte.
    Etwas, das lange geschlafen hatte und gerade geweckt worden war…
    ***
    23. September 1891
    Liebste Claire,
    es tut mir Leid, dass ich dir seit deinem Besuch nicht mehr geschrieben habe. In der letzten Zeit habe ich kaum jemals Lust, mich an meinen Schreibtisch zu begeben - oder überhaupt etwas zu tun, wie mir scheint.
    Wie du aus meinem langen Schweigen herausgelesen haben wirst, sind unsere Bemühungen um Kinder weiterhin fruchtlos geblieben, und ich befürchte, dass John mir die Schuld daran gibt. Er ist mir gegenüber zusehends kälter geworden, sofern er überhaupt noch mit mir spricht, tut er es in kurzen, pragmatischen Sätzen.
    Überhaupt sehe ich ihn kaum noch. Die meiste Zeit verbringt er in seinem Büro in der Stadt. Seit kurzem hat er sich dort auch ein Zimmer gemietet, in dem er während der Woche wohnt. Er behauptet mir gegenüber, dass ihm der tägliche Weg zur Arbeit zu anstrengend geworden sei. Ich selbst vermute jedoch, dass er meinen Anblick zurzeit nur schwer ertragen kann und sich lieber von mir fern hält, so gut es eben geht.
    O Claire! Jeden Abend bete ich zu unserem Herrn und bitte ihn, mir einen Sohn zu
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