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0775 - Haus der Toten

0775 - Haus der Toten

Titel: 0775 - Haus der Toten
Autoren: Christian Constantin
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wir jetzt unterwegs sind«, brach Williams die Stille, »kann ich Ihnen ja den Rest der Geschichte erzählen.«
    Zamorra lächelte. Der Dekan hatte sich die eigentlichen Geschehnisse um die Tode von Charlotte und John O’Donaghan vermutlich absichtlich aufgespart, um sie im Dunkeln auf dem Weg zu dem Anwesen zu erzählen. Offenbar hatte er sich eine kindliche Freude an Spukgeschichten bewahrt, die wahrscheinlich auch der Grund dafür war, dass er sich mit seinen Gästen abends dorthin auf den Weg gemacht hatte.
    »Die Geschichte beginnt mit einer häuslichen Tragödie. John und Charlotte O’Donaghan waren ein mehr als glückliches Paar, als sie in das Haus einzogen. Sie hatten alles, was ein junges Paar benötigt. Er war ein junger Notar, der kurz davor war, zum Partner in seiner Firma gemacht zu werden. Sie war eine wunderschöne, bezaubernde Frau. Und jetzt hatten sie einen Ort geschaffen, an dem sie eine Familie gründen und Kinder großziehen wollten.«
    Zamorra bemerkte, dass die Stimme des Dekans einen ruhigen, rhythmischen Klang angenommen hatte. Er hatte diesen Ausflug wohl schon öfter mit anderen Gästen unternommen und war mittlerweile geübt darin, diese Geschichte zu erzählen.
    »Aber wie sich herausstellte«, fuhr Williams fort, »konnten sie keinen Nachwuchs zeugen, und darüber ging ihre Ehe allmählich in die Brüche. John O’Donaghan vergrub sich in seiner Arbeit, und seine Frau tröstete sich schließlich in den Armen seines besten Freundes, eines gewissen Charles Boreil. Diese Dreiecksgeschichte ging eine Weile gut. John war sowieso kaum zu Hause, und Boreil war ein Nachbar der beiden, also konnten sie diskret sein. Dann fand eines Tages Charlotte einen plötzlichen Tod. Das Grundstück grenzt direkt an das Meer an und das Haus steht ganz in der Nähe der Klippen. Von diesen Klippen stürzte Charlotte O’Donaghan. Es wurde damals gemunkelt, dass sie vielleicht Selbstmord begangen hätte - aus Verzweiflung darüber, dass sie ihrem Mann keine Kinder gebären konnte. Es gab auch andere Gerüchte, dass ihr Mann sie gestoßen hätte, damit er sich wieder verheiraten konnte. Er war ein Nachkomme von irischen Auswanderern in der ersten Generation und Katholik, also hätte er sich niemals scheiden lassen können. Natürlich wusste zu diesem Zeitpunkt noch niemand von ihrer Affäre. Auch ihre Leiche wurde damals nicht gefunden; man vermutete, dass sie aufs Meer hinaus getrieben worden war.«
    Williams machte eine Pause.
    »Das hört sich noch nicht gerade nach einer Gespensterstory an«, kommentierte Nicole von der Rückbank. »Einfach nur nach einer tragischen Liebesgeschichte.«
    »Stimmt. Bisher ist da wenig Stoff für schlaflose Nächte. Aber das ist ja auch noch nicht das Ende der Geschichte. Charlotte O’Donaghan war mit ihrem angeblichen Sturz von den Klippen nämlich noch nicht endgültig verschwunden. Sie tauchte wieder auf. Und zwar nicht dort, wo man sie vermutet hatte…«
    ***
    Der Lichtkreis von Jennys Taschenlampe zeigte einen praktisch leeren, von Spinnweben überzogenen Raum. Die Fenster waren vernagelt. Nur in einer Ecke stand noch ein zerschlissener Sessel, den die vorherigen Bewohner übrig gelassen haben mussten.
    Nicht gerade einfallsreich, dachte sie, aber immerhin ein Versteck.
    Kichernd schob sie den Sessel ein wenig nach vorn und kauerte sich dahinter. Dann machte sie ihre Taschenlampe aus und wartete.
    Nach wenigen Sekunden hörte sie Schritte auf sich zukommen. Sie verharrten kurz vor der Eingangstür. Dann wurde die Tür geöffnet und jemand betrat das Zimmer. Ein fahler Lichtschein erhellte den Raum.
    Als der Raum wieder erleuchtet wurde, konnte Jenny ihren Augen nicht trauen. Das Zimmer sah mit einem Mal völlig anders aus. An der gegenüberliegenden Wand stand ein Sekretär aus Buchenholz, über dem ein Spiegel hing. Der Sessel, hinter dem sie kauerte, war kein vergammeltes Möbelstück aus den Sechzigerjahren mehr, sondern Teil einer mit rotem Samt bezogenen Sitzgruppe, die von einem kleinen Holztisch mit Glasplatte ergänzt wurde. Das Fenster war von wallenden roten Vorhängen umgeben.
    Das alles konnte sie nur in Sekundenbruchteilen wahrnehmen, bevor ihr Blick auf den Mann fiel, der gerade hereingekommen war.
    Der Mann war definitiv weder David noch Jack. Er war um die 30, hatte einen gepflegten, aber altertümlich anmutenden Anzug an und einen Schnurrbart. Außerdem hatte er keine Taschenlampe in der Hand, sondern eine Kerze in einer Schale.
    Instinktiv zog Jenny
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