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075 - Der Kopfjaeger

075 - Der Kopfjaeger

Titel: 075 - Der Kopfjaeger
Autoren: Neal Davenport
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Kopf. Er trug nur schwarze Anzüge und altmodische schwarze Hüte. Sein Blick war unglaublich stechend. Wenn er einen anblickte, glaubte man, sein Blick würde einen durchbohren. Er gehörte einer Gruppe von Geisterbeschwörern an und wollte mit seinem Urahnen Charles-Henri Sanson in Verbindung treten, hatte aber keinen Erfolg damit. Er schwätzte ziemlich wirres Zeug.“
    Der Kellner servierte die Schnecken, und wir schwiegen. Ich breitete die Servietten über meine Knie.
    Die Schnecken waren ausgezeichnet.
    „Schmeckt es Ihnen?“ fragte Melville.
    „Hervorragend!“
    Das Essen war zu gut, als daß ich Lust hatte, über unerklärliche Morde zu sprechen. Wir warteten, bis der Kellner abserviert hatte, ehe wir unsere Unterhaltung fortsetzten.
    „Sanson war eines der ersten Opfer“, sagte Melville. „Es gelang mir, herauszubekommen, bei welchem Kreis von Geisterbeschwörern er hauptsächlich verkehrte. Ich hörte mich dort ein wenig um, erfuhr aber nichts Wesentliches. Sogar an einer Séance nahm ich teil, die aber nichts erbrachte.“
    „Ich möchte gern diesen Kreis kennenlernen“, sagte ich.
    „Sie haben morgen eine Zusammenkunft. Es sind keine besonderen Aufnahmeformalitäten nötig. Jeder kann an so einer Séance teilnehmen. Er muß nur hundert Francs zahlen.“ Melville grinste. „Diese Séance war ein riesiger Schwindel, aber die Dummen werden nicht alle. Wenn Sie unbedingt daran teilnehmen wollen, führe ich Sie morgen hin.“
    „Ja, ich will. Was ist sonst noch über Sanson bekannt?“
    „Wenig“, sagte der Reporter. „Er lebte ziemlich zurückgezogen. Sanson mußte nicht arbeiten, da ihm seine Eltern ein kleines Vermögen hinterlassen hatten.“
    „Ich möchte mir seine Wohnung ansehen.“
    „Das wird schwierig sein“, meinte Melville. „Und Sie werden auch sicherlich nichts finden, was uns weiterhilft. Die Polizei stellte seine Wohnung bereits auf den Kopf.“
    „Was ist mit den anderen Opfern? Wann geschahen die Morde? Zu welcher Tageszeit?“
    „Das ist ziemlich seltsam.“ Melville verschränkte die Hände auf dem Tisch. „Die kopflosen Leichen wurden nie in einem der inneren Bezirke von Paris gefunden, sondern nur in den Außenbezirken. Vor allem im 13. Bezirk Gobelins. Man fand sie in einsamen kleinen Gassen und auf verlassenen Grundstücken und in Häusern. Die Polizei befürchtet, daß es noch mehr Opfer gibt.“
    „Sie schrieben in Ihrem Artikel, daß die Leichen völlig blutleer waren.“
    „Das ist ja das Rätselhafte daran“, meinte Melville und strich sich übers Kinn. „In fast allen Fällen stellte die Polizei fest, daß die Opfer dort getötet wurden, wo man sie fand, aber man entdeckte keinen Tropfen Blut.“
    „Hm“, sagte ich und dachte an meinen Bruder. „Eine andere Frage: Wurden die Leichen enthauptet oder wurden sie …“
    „Da hüllt sich die Polizei in Schweigen. Aber ich bin mit einem Polizeichef befreundet, und der erzählte mir, daß die Opfer in den meisten Fällen bei lebendigem Leib enthauptet wurden. Nur bei diesem Pierre Gormat liegt die Sache anders. Der Arzt behauptet, daß Gormats Kopf fachkundig amputiert worden sei.“
    „Damit meinte er von einem Arzt?“
    Melville nickte. „Genau. Dieser Tote scheint nicht zu den anderen zu passen, und noch etwas erschwert die Aufklärung: Es ist noch in keinem einzigen Fall gelungen, auch nur annähernd die Todeszeit festzustellen.“ Melville griff in seine Brusttasche und holte ein Stück Papier hervor, das er mir reichte. „Hier haben Sie die Namen der vierzehn Toten, ihre Adressen und wo sie zuletzt gesehen wurden.“
    Ich studierte die Aufstellung. Es waren neun Männer und fünf Frauen zwischen achtzehn und dreiundsechzig. Die meisten waren zuletzt in den frühen Abendstunden gesehen worden.
    Ich legte die Aufstellung zur Seite. Sie half mir im Augenblick nicht weiter.
    „Die Bevölkerung ist in großer Aufregung“, sagte Melville. „Die Leute haben entsetzliche Angst, was nur zu verständlich ist. Die Morde sind so völlig sinnlos. Niemand weiß, wer das nächste Opfer sein wird.“
    Der Ober servierte das Huhn auf normannische Art, und ich kostete. Es schmeckte ausgezeichnet, aber mir war der Appetit vergangen. Nach einigen Bissen hatte ich genug.
    Melville hatte eindeutig den besseren Magen. Ich sah ihm zu, wie er genüßlich sein Huhn aufaß, und hielt mich mehr an den herrlichen Wein. Als Melville fertig war, steckte ich mir eine Zigarette an. Ich hatte intensiv alles verarbeitet, was mir
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