Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
071 - Gefangen in den Bleikammern

071 - Gefangen in den Bleikammern

Titel: 071 - Gefangen in den Bleikammern
Autoren: Dämonenkiller
Vom Netzwerk:
Hals und griff nach einem knielangen Mantel. Dann verließ ich mein Zimmer und stieg die Treppe hinunter, die ins Erdgeschoß führte. In der Eingangshalle blieb ich stehen. Der Schein der Kerzen spiegelte sich in den Marmorwänden wider. Ich hörte leises Lautenspiel.
    Eine der hohen Türen wurde geöffnet, und Pietro trat in die Halle. Er verbeugte sich leicht. Pietro war ein fünfzigjähriger Mann, den ich seit meiner frühesten Jugend kannte.
    „Ist mein Vater im Haus, Pietro?"
    Er schüttelte den Kopf. „Nein, Herr. Euer Vater ging vor einer halben Stunde. Soll ich das Essen anrichten lassen?"
    Ich nickte langsam. Pietro verbeugte sich und zog die Tür zu. Ich blieb unschlüssig stehen. Gern hätte ich mit meinem Vater gesprochen, da ich mich entschlossen hatte, seinen Vorschlag anzunehmen, und nach Torcello fahren wollte.
    Der Klang der Laute wurde lauter. Ich wandte den Kopf und hörte Selvas Stimme, die eine einschmeichelnde Melodie sang. Vor einer Tür blieb ich stehen, öffnete sie leise und blickte hinein. Selva saß der Tür gegenüber. Sie war so in ihr Spiel vertieft, daß sie mich nicht gehört hatte. Vor ihr auf dem Tisch stand ein dreiflammiger Kerzenhalter. Selva sah wunderschön im Kerzenlicht aus.
    Sie sang ein wehmutsvolles Liebeslied, das ich schon oft von ihr gehört hatte. Plötzlich brach sie ihr Spiel ab und blickte mich an. Für einen Augenblick war ihr Gesicht ausdruckslos, dann erwachte es zu Leben. Sie lächelte.
    „Du singst herrlich", sagte ich und kam näher.
    Selva legte die Laute zur Seite und stand auf.
    „Sing weiter!" bat ich sie.
    „Später", sagte sie und kam auf mich zu. „Wie geht es dir, Michele?"
    „Danke, gut", sagte ich.
    Sie faßte nach meinem rechten Arm.
    Gemeinsam betraten wir das Eßzimmer. Wie üblich war der Tisch verschwenderisch gedeckt. Blumen in hohen Vasen, dazu kostbare Tafelaufsätze aus Gold und Silber. Der große Raum war holzgetäfelt und voll mit reich geschnitzten Möbeln. An den' Wänden hingen Gobelins und Bilder von Tizian, Bellini und Tintoretto.
    Pietro servierte das Essen. Er schenkte Selva und mir zwei Prunkpokale voll Wein ein, dann stellte er ein Tablett ab, auf dem verschiedenes Obst und Berlingozzo lagen.
    Immer wieder blickte ich zu Selva, die mir verändert vorkam. Meist war sie vergnügt; sie sprach viel und war recht schlagfertig.
    „Du wirkst so bedrückt", sagte ich, als Pietro den nächsten Gang serviert hatte und das Zimmer verließ.
    „Du irrst dich", sagte Selva. Sie lachte, doch das Lachen klang gekünstelt.
    Schweigend aß ich weiter. Nach einigen Bissen hatte ich genug. Ich trank einen Schluck Wein. Immer wieder irrte mein Blick zu Selva. Mein Mißtrauen war erwacht. Ich hatte es schon einige Male erlebt, daß sie so geistesabwesend gewesen war. Meistens hatte sie dann das Haus verlassen. Ich war ihr oft gefolgt, wie sie sich mit einem Mann getroffen hatte, und einmal war ich ihr mit einem Boot gefolgt. Sie war zu einer kleinen Insel gefahren. Dort hatte ich dann ihre Spur verloren. Ich wußte, daß es nicht recht von mir war, daß ich ihr nachspionierte, doch ich konnte nicht anders. Ich fürchtete, daß sie einen Liebhaber hatte, mit dem sie sich heimlich traf.
    Selva schien auch keinen Appetit zu haben. Sie aß nur ein kleines Stück Kalbfleisch und einige Pilze. Den Käse und den Kuchen rührte sie nicht an.
    Nach dem Essen spielten wir Schach. Sie war eine ausgezeichnete Spielerin, die mir das Spiel beigebracht hatte, doch diesmal spielte sie wie eine Anfängerin; sie verlor alle drei Partien, die wir spielten.
    „Ich bin müde", sagte Selva schließlich. „Ich gehe schlafen."
    Sie stand auf, beugte sich vor und küßte mich sanft auf die Lippen. Ich griff nach ihr und wollte sie enger an mich ziehen, doch sie wehrte mich ab. Mir war es gleichgültig, daß sie älter als ich war. Ich begehrte sie. Für mich war sie die einzige Frau, die ich wollte. Doch bis jetzt war ich noch nicht weitergekommen.
    „Selva", sagte ich heiser und versperrte ihr den Weg.
    „Nicht!" sagte sie abweisend und schob mich zur Seite.
    Ich folgte ihr.
    „Selva", flüsterte ich. „Ich kann ohne dich nicht..."
    „Sprich nicht weiter!" sagte sie scharf. Sie öffnete die Tür, huschte in die Halle und wandte mir den Kopf noch einmal zu. „Gute Nacht, Michele!"
    Sie drückte die Tür ins Schloß, und ich ballte die Hände zu Fäusten. Warte nur! dachte ich. Ich bekomme dich, koste es, was es wolle. Nach einigen Minuten hatte ich mich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher