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071 - Gefangen in den Bleikammern

071 - Gefangen in den Bleikammern

Titel: 071 - Gefangen in den Bleikammern
Autoren: Dämonenkiller
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wieder einen Anfall gehabt hast", sagte mein Vater.
    „Ja", antwortete ich. „Aber er ging bald vorüber."
    „Ich mache mir Sorgen deinetwegen, mein Sohn", sagte er und blickte mich kummervoll an.
    „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Vater", sagte ich rasch.
    „Ich habe zu wenig Zeit, um mich um dich kümmern zu können", sagte er. „Ich bin froh, daß Selva bei uns geblieben ist. Sie ist wie deine Mutter."
    Ich konnte mich an meine Mutter kaum erinnern. Sie starb vor einigen Jahren. Ich hatte sie als farblose Frau in Erinnerung.
    „Wir sollten nach Torcello fahren", schaltete sich Selva ein.
    „Nein, ich will nicht", sagte ich rasch.
    Gestern noch hätte ich diesen Vorschlag angenommen, doch jetzt wollte ich nicht von Venedig fort. „Selva hat recht, Michele", sagte mein Vater streng. „Ich veranlasse, daß du..."
    Er brach ab, als Pietro ins Zimmer trat und sich verbeugte.
    „Ein Bote, Herr", sagte Pietro.
    „Schick ihn herein!"
    Pietro trat aus dem Zimmer und führte einige Sekunden später einen kleinen Mann herein. Er war einfach gekleidet und trug einen Knebelbart.
    Der Kleine verbeugte sich tief. „Ich bin Mario Abriani. Euer Sohn Jacopo sendet mich."
    Mein Vater beugte sich interessiert vor.
    „Er ist vor einer Stunde gelandet, Herr", sprach Mario Abriani weiter.
    „Das ist eine gute Nachricht." Vater strahlte.
    „Er läßt Euch bestellen, Herr, daß er, sobald die Ladung gelöscht ist, sofort zum Dogen fahren wird. Er hat reiche Beute mitgebracht."
    Vater stand auf.
    „Ich kann leider nicht zum Empfang meines Sohnes kommen", sagte er. „Ich werde ihn im Dogenpalast erwarten."
    Selva hatte also gewußt, daß mein Bruder heute ankommen würde. Ich sah sie wieder an, doch ihr Gesicht war ausdruckslos. Sollte ich meinem Vater etwas erzählen?
    „Willst du zu deinem Bruder, Michele?"
    Ich erinnerte mich an Selvas Warnung, warf ihr einen trotzigen Blick zu, dann sagte ich: „Ja, gern." „Nein", sagte Selva rasch. „Das wäre unverantwortlich. Michele darf nicht bei der Mittagshitze aus dem Haus."
    „Ich fahre hin", sagte ich stur und stand auf.
    Mein Vater schlug mir zufrieden auf die Schulter. Ich ging zusammen mit dem Boten aus dem Zimmer.
    Selva lief mir nach. Sie packte mich am rechten Arm.
    „Du darfst nicht mitfahren", flüsterte sie. „Du bist in Gefahr. So glaube mir doch!"
    Ich schüttelte ihre Hand ab. Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, verließ ich den Palazzo. An der Traghetti, der Fährstelle, wartete eine Gondel. Mario Abriani stieg ein, und ich folgte ihm. Wir stießen ab, und ich sah Vater und Selva. Vater winkte mir zu, während Selva sich langsam abwandte und in den Palast zurückkehrte.
    Vor dem Dogenpalast stiegen wir in eine von dreißig Mann geruderte Barkasse. In einer Dreiviertelstunde hatten wir den Lido erreicht. Von dort aus ging es mit einer Kutsche weiter zum Ostufer. Nach wenigen Minuten Fahrt lag der Hafen vor uns. Ich sah die prächtige Galeasse meines Bruders und sprang aus der Kutsche. Jacopo stand breitbeinig auf dem Kai und schrie einigen Taglöhnern Befehle zu. Seine Stimme klang herrisch. Unzählige Männer waren mit dem Löschen der Ladung beschäftigt.
    Jacopo wandte mir den Rücken zu. Als er meine Schritte hörte, drehte er sich um. Er war in meiner Größe. Sein mächtiger Oberkörper schien die weiße Bluse zersprengen zu wollen. Er trug enganliegende, schwarze Hosen und hohe Stiefel. Sein gutgeschnittenes Gesicht war sonnenverbrannt.
    Ich eilte auf ihn zu und umarmte ihn. Er grinste breit.
    „Es tut gut, wieder zu Hause zu sein", sagte er und klopfte mir begeistert auf die Schultern. „Wie geht es Vater? Habt ihr etwas von Marino gehört? Und wie geht es dir, Michele?" Er trat einen Schritt zurück und musterte mich. „Du siehst noch immer blaß aus. Du solltest mehr ins Freie gehen."
    „Vater geht es gut", antwortete ich. „Von Marino haben wir seit Wochen nichts mehr gehört."
    Mein zweiter Bruder war so wie Jacopo ständig mit einem Schiff unterwegs.
    Ein Boot legte an. Ich riß überrascht die Augen auf. Etwa zwanzig hünenhafte Neger saßen darin. Sie waren bis auf zerschlissene Lendenschürze nackt.
    „Ich hatte Glück." Jacopo lachte. „Wir überfielen einen Sklavenhändler und erbeuteten fünfzig Neger."
    „Wohin läßt du sie bringen?" fragte ich.
    „Nach Torcello", meinte Jacopo.
    Die Neger stiegen aus. Sie waren kohlrabenschwarz. Schweigend gingen sie an uns vorbei. Dabei warfen sie mir haßerfüllte Blicke
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