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071 - Gefangen in den Bleikammern

071 - Gefangen in den Bleikammern

Titel: 071 - Gefangen in den Bleikammern
Autoren: Dämonenkiller
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Mein Vater ist im Rat der Zehn und diplomatischer Berater des Dogen."
    Der Dämonenkiller schwieg einige Sekunden. Coco und Trevor starrten ihn aufmerksam an. Dorian preßte beide Hände an die Stirn. Dann begann er zu erzählen.

    Venedig, August 1556.
    Ich stand vor dem geöffneten Fenster in meinem Zimmer und blickte auf den Canal Grande. Die Luft flimmerte über dem Wasser. Ich hörte die Schreie der Gondoliere, sah die farbenprächtigen Gondeln, beugte mich weiter aus dem Fenster, blickte zur hölzernen Rialto-Zugbrücke hinüber und kniff die Augen zusammen. Plötzlich begann sich alles vor meinen Augen zu drehen. Ich trat einen Schritt zurück, taumelte auf das Bett zu und warf einen Blick in den Spiegel. Für meine sechzehn Jahre war ich ziemlich groß, fast einen Meter achtzig. Das dunkle Haar trug ich schulterlang. Mein Gesicht war schmal und unnatürlich blaß. Meine Augen schimmerten, als hätte ich Fieber. Ich spürte, daß ich wieder einen Anfall bekommen würde, und warf mich aufs Bett. Die besten Ärzte hatten mich untersucht, doch gegen meine Krankheit fanden sie keine Hilfe. Mein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen. Ich keuchte und wischte mir den Schweiß von der Stirn.
    Mein Vater hatte mir vorgeschlagen, daß ich die Sommermonate in unserem Landhaus auf Torcello verbringen sollte, doch ich hatte mich geweigert. Obwohl mir die Hitze und der Gestank Venedigs nicht bekamen.
    Ich wälzte mich hin und her und unterdrückte mein Stöhnen. In wenigen Minuten würde der Anfall vorüber sein'. Ich legte mich auf den Bauch, verkrallte die Hände im Bettlaken und verbiß mich in der Kopfrolle.
    Ich haßte meine Schwäche und verachtete mich selbst deswegen. Meine Brüder waren so ganz anders als ich. Sie waren ganz nach meinem Vater geraten, während ich alles von meiner Mutter geerbt hatte. Jacopo und Marino waren kräftige Männer, voll Lebensenergie und Mut, während ich ein Schwächling war.
    Die Tür wurde geöffnet. Ich hörte die leisen Schritte.
    „Michele", sagte Selva Farsetti leise.
    „Laß mich allein!" keuchte ich.
    Ich schämte mich vor ihr. Sie sollte mich in diesem Zustand nicht sehen.
    „Ich helfe dir", sagte Selva.
    „Niemand kann mir helfen", flüsterte ich. „Der Anfall ist gleich vorüber."
    Ich spürte ihre weiche Hand an meiner Schulter. Sie setzte sich neben mich aufs Bett und wischte mir den Schweiß mit einem weißen Tuch von der Stirn.
    „Leg dich auf den Rücken, Michele!" sagte Selva, doch ich gehorchte nicht.
    Sie stand auf und kam wenige Augenblicke später wieder zurück. Diesmal rieb sie mir das Gesicht mit einem feuchten Tuch ab. Der Schmerz ließ langsam nach.
    „Besser?" fragte sie. Ich stöhnte unterdrückt und nickte.
    Selva war eine weit entfernte Verwandte. Ihre Familie stammte aus Florenz. Sie war seit vier Jahren in unserem Haus, ein gern gesehener Gast, der sich um mich gekümmert hatte. Ich verstand mich prächtig mit ihr und hegte keinerlei verwandtschaftliche Gefühle für sie. Um es ganz offen zu sagen: Ich war in sie verliebt.
    Ich wälzte mich schwer atmend auf den Rücken und sah sie an. Sie lächelte mir zu. Selva war eine wunderschöne Frau. Sie trug ein enganliegendes, dunkelgrünes Kleid, das ihre aufregende Figur betonte. Ihr Haar war feuerrot und zu einer kunstvollen Frisur aufgesteckt.
    Das Gesicht war ein bleiches Oval, das ganz von den großen, grünen Augen beherrscht wurde.
    Sie tätschelte sanft meine Wangen. „Hast du Durst, Michele?"
    Ich schüttelte den Kopf.
    Selva stand auf, ging zum Fenster, schloß es und zog die schweren Vorhänge zu.
    „Schlafe einige Stunden, Michele!" sagte sie. „Du wirst dich dann besser fühlen."
    „Ich kann nicht schlafen", sagte ich und ließ sie nicht aus den Augen. Ich wußte, daß meine Liebe zu ihr ohne Hoffnung auf Erfüllung war.
    Sie beugte sich über mich, drückte mir einen sanften Kuß auf die Lippen, sah mir tief in die Augen, und ich spürte, wie ich schläfrig wurde. Ich schloß die Augen und schlief nach wenigen Sekunden ein.
    Als ich erwachte, war es Abend. Ich fühlte mich müde, und meine Zunge brannte. Nach einigen Sekunden stand ich langsam auf, griff nach dem Wasserkrug und trank einen Schluck. Dann zog ich die Vorhänge zurück und öffnete das Fenster. Die Luft war noch immer stickig, doch es war etwas kühler.
    Rasch kleidete ich mich an. Ich wählte eine rote Strumpfhose, einen schwarzen Wams und weiche halbwadenhohe Stiefel. Dazu hängte ich mir eine goldene Kette um den
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